Medizin

„Gesunde Dicke“ – nur ein Mythos?

Studie widerlegt angeblich positiven Effekt leichten Übergewichts

Entgegen landläufiger Ansicht kann auch schon leichtes Übergewicht dem Herzen schaden © Fred Froese/ iStock.com

Mythos widerlegt: Bisher war strittig, ob leichtes Übergewicht nicht sogar gesünder ist als leichtes Untergewicht – jedenfalls für Herz und Kreislauf. Jetzt jedoch widerlegt eine Studie diesen Mythos von den „gesunden Dicken“ Demnach steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon an der Obergrenze des Normalgewichts an und nimmt dann mit jedem Kilogramm weiter zu. Entgegen früheren Annahmen schaden dagegen ein paar Pfunde zu wenig offenbar nicht, wie die Forscher berichten.

Welches Körpergewicht ist für unsere Gesundheit optimal? Über diese Frage streiten Wissenschaftler schon seit Jahren. Klar scheint, dass starkes Übergewicht oder sogar Fettleibigkeit ungesund sind. Sie erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle und Krebs und können sogar unser Gehirn älter machen und unser Erbgut verändern. Mediziner sehen deshalb den steigenden Anteil von Übergewichtigen weltweit mit Sorge.

Das Übergewichts-Paradox

Doch ab wann setzen die negativen Folgen des Übergewichts ein – und sind zu viele Pfunde wirklich immer schädlich? Genau daran gab es bisher Zweifel: „Es gibt eine Reihe von Belegen, die das sogenannte Übergewichts-Paradox stützen“, erklären Stamatina Iliodromiti von der University of Glasgow und ihre Kollegen. „Dieses besagt, dass Übergewicht und sogar Fettleibigkeit sogar gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen kann – vor allem bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen.“

Hinzu kommt: Einige Studien ergaben, dass ein Body-Mass-Index von unter 20 – das entspricht einem niedrigen Normalgewicht – sogar schädlich zu sein scheint. Demnach haben besonders dünne Menschen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und vorzeitigen Tod. „Die Gründe für dieses paradoxe Ergebnis blieben unbekannt“, erklären die Forscher. Denn eigentlich widerspricht dies allem, was man über die physiologischen Zusammenhänge von Körperfett und Gesundheit weiß.

Die Mitte ist optimal

Jetzt haben Iliodromiti und ihre Kollegen das Übergewichts-Paradox noch einmal gründlich überprüft. Bei knapp 300.000 Teilnehmern einer Langzeitstudie werteten sie dafür über fünf Jahre hinweg den Body-Mass-Index, Köperfettanteil, Hüft- und Taillenumfang sowie das Vorkommen von Herz-Kreislauf-Krankheiten aus. Alle teilnehmenden Männer und Frauen waren zu Studienbeginn gesund und zwischen 40 und 69 Jahre alt.

Das Ergebnis: Am gesündesten blieben die Teilnehmer mit einem Body-Mass-Index von 22-23. Zumindest in puncto Herz-Kreislauf-Erkrankungen scheint demnach die Mitte des als Normalgewicht geltenden BMI-Bereichs von 20 bis 25 optimal zu sein. Ebenfalls positiv wirkte sich ein Körperfettanteil von maximal 30 Prozent bei Frauen und 18 Prozent bei Männern aus, wie die Forscher berichten.

Der Taillenumfang verrät das Krankheitsrisiko © SXC

Jedes Kilo mehr kann schaden

Die Studie zeigt auch: Wenn Körpergewicht und Körperfett über diesen Mittelwert hinaus steigen, nimmt mit jedem Pfund mehr das Risiko für eine Herz-Kreislauferkrankung zu. Steigt der BMI um 5,2 Punkte bei Frauen und 4,3 bei Männern, erhöht dies das Risiko um 13 Prozent, wie die Forscher ermittelten. Selbst leichtes Übergewicht kann sich demnach negativ auswirken – zumindest auf Herz und Gefäße. Die Mär von gesunden Dicken scheint damit zumindest in dieser Hinsicht widerlegt.

Die Auswertungen bestätigen zudem, dass besonders das Fett in der Körpermitte der Gesundheit schaden kann. Wächst beispielsweise der Taillenumfang bei Frauen um 12,6 Zentimeter, wird eine Herz-Kreislauf-Erkrankung um 16 Prozent wahrscheinlicher. Bei Männern sind es rund zehn Prozent bei elf Zentimetern, wie die Wissenschaftler berichten.

Paradox widerlegt

Das Entscheidende aber: Die Studiendaten widerlegen das Übergewichts-Paradox. Zwar schienen die Gesamtergebnisse zunächst tatsächlich eine Zunahme des Herz-Kreislauf-Risikos bei BMIs unter 18 anzuzeigen. Doch als die Forscher Raucher und Menschen mit zusätzlichen Risikofaktoren ausschlossen, verschwand dieser Anstieg. Bei den übergewichtigen Teilnehmern blieb er dagegen erhalten.

„Diese Beobachtungen deute darauf hin, dass die zuvor dokumentierten negativen Einflüsse eines niedrigen BMI für Herz und Kreislauf auf Störvariablen zurückgehen“, konstatiert Iliodromiti. „Unsere Untersuchung liefert damit Belege gegen das Übergewichts-Paradox – als die bisher größte Studie dieser Art.“ Nach Ansicht der Forscher gibt es demnach keinen Grund mehr, Übergewicht als vermeintlich gesünder zu propagieren.

Normalgewicht ist am besten – jedenfalls für die meisten

„Je schlanker eine Person ist, desto niedriger ist ihr Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung“, betont Iliodromiti. „Die Botschaft ist daher, dass gesunde Menschen versuchen sollten, möglichst schlank zu bleiben. Jedes Kilogramm weniger verbessert die Herzgesundheit.“ Das allerdings bedeutet nicht, dass Untergewicht erstrebenswert ist. Denn dieses zieht wiederum andere negative Gesundheitsfolgen nach sich.

Allerdings: Manche Menschen könnten von ein paar Pfund zu viel doch profitieren. Denn die neuen Werte gelten nur für gesunde Menschen. „Für Menschen mit Vorerkrankungen könnte dies anders aussehen“, sagt Iliodromiti. „Denn es gibt Belege dafür, dass beispielsweise leicht übergewichtige Krebspatienten ein geringeres Herz-Kreislauf-Risiko haben. Hinzu kommt, dass diese Patienten durch den Krebs und die Therapie ohnehin meist noch Gewicht verlieren.“ (European Heart Journal, 2018; doi: 10.1093/eurheartj/ehy057)

(European Society of Cardiology, 19.03.2018 – NPO)

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