Zoom aufs Enzym: Forschern ist ein beispiellos detaillierter Blick auf die menschliche Telomerase gelungen. Sie beobachteten das Enzym, das unsere Chromosomen mit schützenden Kappen versorgt, mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie in dreifach besserer Auflösung als bisher möglich war. Ihre neuen Erkenntnisse über die Struktur und Funktionsweise des Enzyms könnten auf lange Sicht bei der Bekämpfung von Alterungsprozessen und Krebs helfen.
Die Chromosomen in den Zellen aller eukaryotischen Lebewesen sind mit schützenden Kappen ausgestattet – den sogenannten Telomeren. Sie bestehen aus kurzen, spezialisierten DNA-Sequenzen, die das darunterliegende Erbgut von schädlichen Einflüssen abschirmen. Ihre Funktion wird oftmals mit der der Plastikstücke an den Enden von Schuhbändern verglichen. Doch ihr schützender Effekt hält nicht ewig: Jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt, werden die Telomere ein kleines Stück kürzer.
Verantwortlich für den Aufbau der Telomere ist ein Enzym namens Telomerase. Dieses ist in den meisten erwachsenen Zellen nicht mehr aktiv. Aus diesem Grund wachsen die Telomere im Laufe unseres Lebens nicht nach und alte Zellen nehmen irgendwann Schaden und teilen sich nicht mehr. Mit einer Ausnahme: In Krebszellen arbeitet die Telomerase kontinuierlich. Dadurch verhilft sie ihnen dazu, sich unendlich oft zu teilen und im Körper zu wuchern.
Unbekannte Struktur
Wissenschaftlern gilt das Enzym daher schon länger als Schlüsselstelle für die Entwicklung von Therapien gegen Krebs und Alterungsprozesse. Doch praktisch umgesetzt wurden Medikamente, die die Telomerase aktivieren oder blockieren bisher noch nicht. Der Grund: Forscher wussten bis jetzt einfach zu wenig über die Struktur und Funktionsweise des Enzyms, das sich aus RNA-Molekülen und Proteinen zusammensetzt.
Einem Team um Thi Hoang Duong Nguyen von der University of California in Berkeley ist es nun aber gelungen, das menschliche Telomerase-Molekül im Detail zu beobachten. Für ihre Untersuchung isolierten die Wissenschaftler eine besonders reine Form des Enzyms und nahmen es mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie unter die Lupe. Dieses Verfahren ermöglicht es, Biomoleküle in Aktion zu sehen und auf Subnanometer-Ebene abzubilden. Wie die Forscher berichten, konnten sie die Struktur der Telomerase auf diese Weise in dreifach besserer Auflösung darstellen als es bei vorherigen Arbeiten gelungen ist.
Monomer statt Dimer
Die Nahaufnahmen zeigten: Offenbar besteht der Telomerase-Komplex aus zwei funktionellen Einheiten – einem katalytischen Kern und einem Bereich, der die Zusammensetzung des Enzyms aus seinen Einzelteilen erleichtert und seinen Transport in den Zellkern kontrolliert. Diese beiden Bereiche sind über zwei RNA-Helices miteinander verbunden.
Bisher legte diese auch in geringerer Auflösung sichtbare zweigeteilte Form nahe, dass die Telomerase Dimere bildet – einen Molekülverbund aus zwei identischen Einheiten. Durch den neuen, detaillierten Blick ist nun jedoch klar: Es handelt sich um ein Monomer aus zwei verschiedenen Komponenten. Auch eine weitere seit langem diskutierte Frage kann das Team jetzt beantworten: Aus wie vielen Protein-Untereinheiten besteht das Enzym? „Wir haben insgesamt elf Untereinheiten entdeckt“, berichtet Nguyen.
Einen Schritt näher
Außerdem zeigen die Ergebnisse, warum genetische Mutationen in bestimmten Proteinen der Telomerase Erkrankungen wie Dyskeratosis congenita auslösen. Diese seltene Erbkrankheit kommt durch Veränderungen in einem Protein namens Dyskerin zustande. Die Forscher fanden heraus: Zwei dieser Dyskerin-Moleküle sitzen am RNA-Rückgrat der Telomerase – und diese beiden müssen sich berühren, um ihre Funktion zu erfüllen. Genau das scheint die Mutation zu verhindern. Als Folge ist das RNA-Rückgrat und damit das gesamte Telomerase-Molekül nur eingeschränkt überlebensfähig.
Mit den neuen Erkenntnissen können Forscher das Enzym viel besser verstehen als zuvor. Damit ist auch das Ziel, auf die Telomerase einwirkende Medikamente zu entwickeln, einen bedeutenden Schritt näher gerückt. Doch noch ist es nicht so weit, wie der nicht an der Studie beteiligte Michael Stone von der University of California in Santa Cruz kommentiert: „Für ein vollständiges Bild braucht es atomgenaue Modelle des Enzyms in seinen diversen funktionellen Zuständen.“
„Mit Fortschritten in der Kryo-Elektronenmikroskopie-Technik und anderen Methoden werden wir die Arbeitsweise dieses faszinierenden Enzyms in Zukunft mit Sicherheit zunehmend besser verstehen“, schließt der Biochemiker. (Nature, 2018; doi: 10.1038/s41586-018-0062-x)
(Nature Press/ University of California Berkeley, 26.04.2018 – DAL)