Geowissen

Entstand die Lepra in Europa?

Mittelalterliche Proben offenbaren Neues über die Geschichte des Lepra-Bakteriums

Schädel mit Lepra aus einem mittelalterlichen Friedhof in Dänemark – sein Erbgut half bei der Suche nach dem Seuchenursprung. © Dorthe Dangvard Pedersen

Vielfältiger als gedacht: Im mittelalterlichen Europa grassierten gleich mehrere Bakterienstämme des Lepra-Erregers – und nicht wie bisher angenommen nur zwei. Das zeigen Analysen aus menschlichen Skeletten isolierter Proben. Diese erstaunliche Vielfalt legt nicht nur nahe, dass das Mycobacterium leprae älter ist als bisher angenommen. Sie deutet auch auf einen möglichen Ursprung des Bakteriums im westlichen Eurasien hin, wie Forscher berichten.

Lepra gehört zu den ältesten bekannten Krankheiten der Menschheitsgeschichte. In Europa war das Leiden bis ins 16. Jahrhundert hinein weit verbreitet. Wer sich damals infizierte, galt aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr als Aussätziger. Doch Lepra ist keineswegs eine Erkrankung des dunklen Mittelalters. In Ländern wie Indien und Brasilien ist sie auch heute noch ein ernstzunehmendes Problem: Bis zu 200.000 Neuerkrankungen werden jedes Jahr weltweit gemeldet.

Hauptverursacher der klassischen Lepra ist das Mycobacterium leprae. Von diesem Bakterium grassieren gegenwärtig mehrere Stämme. Wo und wann diese genau entstanden sind, ist allerdings unklar. Um mehr über die Geschichte des Lepra-Bakteriums zu erfahren, haben Forscher um Verena Schünemann von der Universität Zürich nun historische Proben des Erregers analysiert – mit überraschendem Ergebnis.

Erstaunliche Gen-Vielfalt

Für die Studie untersuchte das Team 90 menschliche Skelette aus ganz Europa. Die Knochen stammten aus der Zeit von 400 bis 1400 nach Christus und wiesen die für Lepra charakteristischen Verformungen auf. Aus diesen Funden isolierten die Wissenschaftler Spuren von Lepra-Bakterien und rekonstruierten daraus deren Genome.

Insgesamt gelang es ihnen dabei, zehn unterschiedliche mittelalterliche Genome zu sequenzieren. Das Erstaunliche: Damit umfassen die Gensequenzen alle bekannten Stämme der Lepra-Erreger – auch solche, die heute in Asien, Afrika, oder Nord- und Südamerika auftreten. „Wir haben viel mehr genetische Diversität bei den Lepra-Erregern gefunden als erwartet“, berichtet Mitautor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.

Skelettreste mit den typischen Schäden einer Lepra-Erkrankung © Dorthe Dangvard Pedersen/ beamue

Verbreitet schon in der Antike?

Bisher gingen Forscher davon aus, dass im mittelalterlichen Europa lediglich zwei Stämme verbreitet waren. Dass sich entgegen dieser Annahme schon damals eine solche Vielfalt an Erregern entwickelt hatte und auf dem Kontinent grassierte, legt nach Ansicht des Teams nun nahe: Lepra muss bereits in der Antike in Asien und Europa weit verbreitet gewesen sein.

Das wiederum bedeutet, dass das Lepra-Bakterium vermutlich älter ist als gedacht. Die Forscher gehen angesichts ihrer neuen Erkenntnisse von mindestens einigen tausend Jahren aus. Doch nicht nur das: „Dies legt auch nahe, dass die Krankheit sogar ihren Ursprung im westlichen Eurasien gehabt haben könnte“, sagt Krause.

Eichhörnchen als Überträger

Wie das Team berichtet, stammt eines der rekonstruierten Genome aus dem England um 415 bis 545 nach Christus. Damit ist es das bis dato älteste rekonstruierte Genom von M. leprae. Interessant dabei: Dieses Genom gehört zum gleichen Lepra-Stamm, der in heute lebenden Eichhörnchen entdeckt wurde. „Das stützt die Hypothese, dass Eichhörnchen und der Handel mit ihren Fellen Faktoren bei der Ausbreitung der Lepra unter Menschen des Mittelalters in Europa darstellten“, so Krause.

Die Dynamik der Übertragung der Lepra in der Geschichte der Menschen ist auch mit den jetzt veröffentlichten Ergebnissen allerdings noch nicht völlig geklärt. „Es ist noch unklar, woher genau die Lepra ursprünglich stammt“, sagt Schünemann. „Wir haben zwar schriftliche Zeugnisse von Leprafällen aus der vorchristlichen Zeit, aber uns fehlen bisher die Proben, um dies auf der molekularen Ebene zu bestätigen.“

Die Forscher wollen daher in Zukunft nach noch älteren Lepra-Fällen suchen – und der Spur der tückischen Erreger noch weiter in die Vergangenheit folgen. (PLOS Pathogens, 2018; doi: 10.1371/journal.ppat.1006997)

(Universität Zürich/ Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, 11.05.2018 – DAL)

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