Mal größer und mal kleiner: Die Größe der Brustwarzen variiert bei Frauen deutlich stärker als bei Männern. Dieses Ergebnis eines wissenschaftlichen Nippel-Vergleichs überrascht Evolutionsbiologen. Denn bisher galt: Körperteile, die eine wichtige Funktion erfüllen, entwickeln sich bedingt durch den Selektionsdruck bei allen Individuen einer Art ähnlich. Anders als sein männliches Pendant erfüllt der weibliche Nippel mit dem Stillen eine solche Aufgabe – und kommt dennoch variantenreicher daher, wie sich nun herausstellt.
In der Evolutionstheorie gilt: Wer am besten angepasst ist, gewinnt. Aus diesem Grund haben sich die Merkmale der meisten Pflanzen und Tiere im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte so verändert, dass sie optimal mit den vorherrschenden Umweltbedingungen zurechtkommen – und ihre Funktion besonders gut erfüllen können. Ein prominentes Beispiel ist der Kolibri-Schnabel, der häufig exakt die Form der von den Vögeln bevorzugt besuchten Blüte aufweist.
Im Gegensatz zu Körperteilen, die konkrete Aufgaben wie etwa die Nahrungsbeschaffung erfüllen, wirkt der Selektionsdruck auf weniger funktionale Merkmale nicht so stark. Einige Wissenschaftler glauben daher: Was bei einer Spezies in allen möglichen Formen und Farben auftritt, erfüllt wahrscheinlich keine wichtige Funktion. Denn sonst wäre dieses Merkmal bedingt durch den Selektionsdruck bei jedem Individuum nahezu gleich gestaltet.
Nippel-Vergleich für die Wissenschaft
Doch stimmt diese Hypothese? Dies haben Ashleigh Kelly von der University of Queensland in Brisbane und ihre Kollegen nun am Beispiel von Brustwarzen untersucht. Diese erfüllen beim Menschen bekanntermaßen vor allem beim weiblichen Geschlecht eine bedeutende Aufgabe: Sie versorgen den Nachwuchs mit Muttermilch. Der männliche Nippel ist dagegen eher ein evolutionsbiologisches Relikt.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher die Brustwarzen von 63 australischen Studenten und vermaßen sie aufs Genaueste. Dabei zeigte sich: Im Schnitt kamen die männlichen Nippel nur auf 36 Prozent der Durchschnittsgröße der weiblichen Brustwarzen. Doch das eigentlich Interessante: Bei den Frauen stellte das Team deutlich größere Unterschiede zwischen den einzelnen Teilnehmerinnen fest. „Die weiblichen Nippel waren signifikant variabler als die männlichen Nippel“, sagt Kelly.
Von wegen nur ein Nebenprodukt!
Auch als die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen Faktoren wie die Körpergröße der Probanden, deren Brustumfang und die Raumtemperatur während der Vermessung herausgerechnet hatten, waren die Brustwarzen der Männer immer noch deutlich konformer als die der Frauen. Damit scheint klar: „Die Annahme, dass Variation bei einem bestimmten Körpermerkmal auf einen Mangel an Funktionalität hinweist, ist falsch. Schließlich sind weibliche Nippel funktional, weil sie zum Stillen eingesetzt werden“, konstatiert Kelly.
Ihrer Ansicht nach erscheint so manch eine Behauptung anderer Forscher nun in einem mehr als fragwürdigen Licht. So wird mitunter etwa die Hypothese vertreten, dass die größere Vielfalt in Sachen Länge und Form der weiblichen Klitoris im Vergleich zum Penis bedeutet: Der weibliche Orgasmus sei nur ein aus evolutionsbiologischer Sicht nicht-funktionales Nebenprodukt des männlichen Orgasmus. „Solche vermeintlichen Belege sollten angezweifelt werden. Denn die Nippel zeigen einen gegenteiligen Zusammenhang“, schließt das Wissenschaftlerteam. (Adaptive Human Behavior and Physiology, 2018; doi: 10.1007/s40750-018-0096-1)
(Springer Nature, 27.06.2018 – DAL)