Von wegen unbeeinflusst: Die Antarktis ist biologisch wohl doch nicht so stark isoliert wie gedacht. Dies belegen Funde von Riesentang, der an antarktischen Stränden angeschwemmt wurde. Bisher galt, dass Meeresströmungen einen solchen Einfall fremder Arten in die Region verhindern. Aber offenbar scheinen die Ökosysteme der Antarktis anfälliger für Bioinvasion zu sein als angenommen – eine Tatsache, die mit dem Klimawandel an Bedeutung gewinnen könnte.
Bisher galt Antarktika als biologisch weitestgehend isolierter Ort. Denn die Landmasse am Südpol ist von einer natürlichen Barriere umgeben: Der rund um die Antarktis kreisende Zirkumpolarstrom und Winde sorgen dafür, dass potenzielle Besucher stets in Richtung Norden und damit weg von dem südlichsten Kontinent der Erde getrieben werden. Forscher schreiben es auch dieser Isolation zu, dass die Ökosysteme dort so einzigartig sind.
Weitgereiste Besucher
Ceridwen Fraser von der Australian National University in Acton und ihre Kollegen haben nun jedoch eine Entdeckung gemacht, die überhaupt nicht in das Bild der unbeeinflussten Region passen will. Sie sind an antarktischen Stränden auf angeschwemmten Riesentang gestoßen. Diese groß wachsenden Braunalgen gedeihen vor allem in den Uferzonen von Meeren der gemäßigten Breiten, in der Antarktis kommen sie eigentlich nicht vor. Wie konnten sie dort ans Ufer gelangen?
Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, nahmen die Wissenschaftler die auch Kelp genannten Algen genauer unter die Lupe. DNA-Analysen ergaben: Der Tang stammte unter anderem von den Kerguelen und aus Südgeorgien und musste demzufolge zehntausende Kilometer zurückgelegt haben, bevor er die Antarktis erreichte. Mithilfe von Modellanalysen versuchte das Team anschließend das „Wie“ zu ergründen.
Einflussfaktor Sturmwelle
Erwartungsgemäß zeigten die Simulationen zunächst, dass die Algen eigentlich niemals antarktisches Land hätten erreichen dürfen. Doch dann rechneten die Forscher neben den bekannten Zirkulationsmustern auch Störfaktoren mit herein, wie sie zum Beispiel durch Stürme entstehen können.
Das veränderte alles: Demnach versetzen große Wellen die Oberfläche des Meeres bei Stürmen derartig in Bewegung, dass die natürliche Strömungsbarriere mitunter durchbrochen wird. „Auf einmal konnten einige der Objekte in unseren Simulationen an der antarktischen Küste landen“, berichtet Frasers Kollegin Adele Morrison.
Anfälliger für Bioinvasion
Das heißt: Die Antarktis ist wohl doch nicht so isoliert wie bislang angenommen. „Wir dachten immer, dass die antarktischen Pflanzen und Tiere so anders sind, weil sie isoliert leben. Doch offenbar kommen diese Unterschiede ausschließlich durch die extremen Umweltbedingungen zustande, nicht durch Isolation“, konstatiert Fraser.
Diese Erkenntnis könnte bedeuten, dass die Region weitaus anfälliger für Bioinvasion ist als gedacht. Denn wenn es die Braunalgen in die Antarktis schaffen, wird das in Zukunft auch anderen Spezies gelingen – der Kelp könnte fremden Pflanzen und Tieren dabei sogar als nützliches Transportmittel dienen, wie die Wissenschaftler betonen.
Durch den Klimawandel begünstigt
Sie befürchten, dass der Klimawandel den Einfall solcher Arten sogar noch begünstigen wird: „Einige Bereiche der Antarktis gehören zu den sich am schnellsten erwärmenden Orten der Erde. Werden fremde Lebewesen regelmäßig dort angespült, können sie sich dort auch irgendwann ansiedeln – sobald die Bedingungen für sie günstig geworden sind“, sagt Fraser. Als Folge könnten heimische Pflanzen und Tiere verdrängt werden und die einzigartigen Ökosysteme am Südpol aus dem Gleichgewicht geraten.
Doch die Entdeckung des Riesentangs wirft nicht nur einen neuen Blick auf die Anfälligkeit der Antarktis gegenüber schädlicher Bioinvasion. „Unsere Ergebnisse haben darüber hinaus ganz allgemeine Auswirkungen auf die Meeresströmungsforschung, die unter anderem die Verteilung von Plastik und anderen schwimmenden Materialien betrachtet“, schreibt das Team. Schon vor wenigen Monaten hatten Forscher etwa festgestellt, dass offenbar auch Mikroplastik die antarktische Ringströmung überwinden kann.
„Wenn die von Wellen angetriebene Oberflächenbewegung die Bewegung von Partikeln und Lebewesen rund um Antarktika beeinflusst, könnte das auch in anderen stürmischen Regionen der Fall sein“, schließen die Wissenschaftler. (Nature Climate Change, 2018; doi: 10.1038/s41558-018-0209-7)
(Nature Press/ University of New South Wales/ Australian National University, 17.07.2018 – DAL)