Heilkunst am Nil: Altägyptische Papyrus-Fragmente haben Forschern ganz neue Einblicke in das Medizin-Wissen der Ägypter geliefert. So enthält einer der Texte die älteste bekannte Erwähnung der Niere als Körperorgan, ein anderer beschreibt Therapien für Augenkrankheiten. Skurril auch: Auf einem Papyrus-Text wird ein Schwangerschaftstest beschrieben, der sich 3.000 Jahre später auch in einer deutschen Geschichtensammlung findet.
Viele Erkrankungen, die heute grassieren, gab es schon im alten Ägypten – darunter auch erstaunlich viele vermeintliche Zivilisationskrankheiten. So litten schon die Eliten am Nil unter Arterienverkalkung oder Brustkrebs und anderen Tumorerkrankungen. Gleichzeitig aber wussten sie sich bei vielen Leiden zu helfen: Sie trugen bereits Augenschminke der Frauen stärkte ihr Immunsystem.
Jahrtausende alte Lehrtexte
Ganz neue Einblicke in das medizinische Wissen der Ägypter liefert nun eine Sammlung von Papyrusfragmenten, die an der Universität Kopenhagen aufbewahrt wird. Denn diese jahrtausendealten Fragmente sind Teile altägyptischer Lehrtexte. „Diese Texte handeln von Medizin, Botanik, Astronomie, Astrologie und anderen Wissenschaften, die im alten Ägypten praktiziert wurden“, erklärt Kim Ryholt, Leiterin der Sammlung.
Ryholt und ihr Team haben nun damit begonnen, diese Zeugnisse alten Wissens zu entziffern und zu übersetzen. „Wenn man von der Geschichte der Wissenschaft hört, dann liegt der Fokus oft auf griechischem oder römischem Material“, so die Forscherin. „Aber wir haben hier ägyptische Quellen, die noch viel weiter zurückgehen. Einer unserer Texte ist schon vor 3.500 Jahren geschrieben worden – zu dieser Zeit gab es in Europa noch gar keine schriftlichen Aufzeichnungen.“
Schwangerschaftstest mit Getreidesäcken
Auf dem ältesten Papyrus der Sammlung beschreibt in altägyptischer Arzt einen Schwangerschaftstest: „Der Text besagt, dass eine schwangere Frau auf einen Sack mit Weizen und in einen Sack mit Gerste urinieren soll“, berichtet Sofie Schiødt. „Wenn dann keines der Getreide keimt, ist sie nicht schwanger. Das Getreide, dass als erstes sprießt, verrät dagegen das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes.“
Interessant daran: Der gleiche Schwangerschaftstest findet sich rund 3.000 Jahre später in einer Sammlung deutscher volkstümlicher Erzählungen wieder – im Jahr 1699. „Das setzt die Dinge in eine ganz andere Perspektive, denn es zeigt, dass die ägyptischen Ideen noch tausende von Jahren später ihre Spuren hinterlassen haben“, sagt Schiødt. „Vieles Wissen aus altägyptischen Medizintexten taucht später in griechischen und römischen Texten wieder auf, von dort wurde es in mittelalterliche Werke des Nahen Ostens übernommen.“
Älteste Beschreibung der Niere
In einem weiteren Papyrusstück stießen die Ägyptologen auf Überraschendes. Denn in dem dort niedergeschrieben Text wird die Niere beschrieben. „Das ist der älteste medizinische Text überhaupt, der dieses Organ erwähnt“, berichtet Ryholts Kollegin Amber Jacob. „Bisher dachten einige Wissenschaftler, dass die Ägypter die Niere gar nicht kannten. Aber in diesem Text können wir eindeutig sehen, dass das sehr wohl der Fall war.“
In einem anderen Text schrieb ein ägyptischer Mediziner Behandlungen für Augenkrankheiten nieder. Doch auch die Astrologie spielte für die Gelehrten eine große Rolle. „Heute gilt Astrologie als Pseudowissenschaft. Aber in der Antike war dies anders“, betont Ryholt. „Damals war die Astrologie ein wichtiges Hilfsmittel, um die Zukunft vorherzusagen und galt als wichtige und zentrale Wissenschaft.“ Denn in der Bewegung und Position der Gestirne glaubten die Ägypter gute oder schlechte Omen für ihr tägliches Leben und ihre Vorhaben zu erkennen.
Noch ist die Entzifferung und Übersetzung der Papyrus-Fragmente nicht abgeschlossen. Doch jeder Text mehr liefert spannende Einblicke in das Wissen der Ägypter. „Wir haben noch immer nur ein sehr bruchstückhaftes Wissen über die Naturwissenschaften im alten Ägypten“, erklärt Hans-Werner Fischer-Elfert von der Universität Leipzig. „Gleichzeitig gibt es viele Quelle, die zwar theoretisch bekannt sind, aber die in verschiedenen Sammlungen weltweit herumliegen, ohne dass sie sich jemand näher angeschaut hat.“
(Science Nordic, 23.08.2018 – NPO)