Energie

China: Gefahr durch neue Atomreaktoren?

Bisher wenig erprobter Hochtemperatur-Reaktortyp könnte erhebliche Risiken bergen

Statt langer Stäbe werden im Kugelhaufenreaktor ummantelte Urankugeln verwendet. Graphitkugeln wie diese dienen als Moderatoren. © Stefan Kühn/ CC-by-sa 3.0

Forscher warnen: Ein in China gebauter Atomreaktor neuen Typs könnte erhebliche Risiken mit sich bringen. Denn solche Kugelhaufenreaktoren sind weniger sicher als gerne angenommen – vor allem wenn eine sichere Druckhülle und ein zweiter Kühlkreislauf fehlen, wie in China der Fall. Zwar ist bei diesen Hochtemperatur-Reaktoren eine Kernschmelze fast unmöglich, dafür aber können stark radioaktive Stäube in die Umwelt entweichen, wie die Wissenschaftler erklären

Die Idee ist nicht neu: Schon in den 1960er Jahren experimentierten Kernforscher mit einem Reaktortyp, der eine ganz neue Form von Kernbrennstoff nutzte: Statt der langen Stäbe aus Plutonium oder Uran werden im Kugelhaufenreaktor (HTR-PM) mit Graphit und Keramik ummantelte Urankügelchen verwendet. Diese Beschichtung verhindert, dass der Kernbrennstoff oder seine Spaltprodukte in den Reaktorraum austreten. Gleichzeitig sind die Pellets extrem temperaturbeständig, wodurch eine Kernschmelze sehr unwahrscheinlich wird.

Gekühlt werden diese Hochtemperatur-Reaktoren durch Heliumgas, das durch die Brennstoff-Kügelchen geleitet wird. Weil diese sehr hohe Temperaturen aushalten, heizt sich das Gas dabei auf bis zu 750 Grad auf. Diese Hitze wird meist direkt zur Produktion von Wasserdampf für die Stromerzeugung genutzt.

China: Zwei HTR-Reaktoren vor Inbetriebnahme

„Die Kugelhaufenreaktoren werden von ihren Befürwortern gerne als ‚katastrophenfrei‘ und ’sicher‘ beschrieben“, erklärt der deutsche Chemiker und Kernforscher Rainer Moormann. „Aber kein Kernreaktor ist gegenüber Unfällen immun.“ Wie sicher solche Kugelhaufenreaktoren tatsächlich sind, war lange unerheblich, weil von Reaktoren dieses Typs nur Prototypen existierten, die inzwischen wieder stillgelegt sind.

Schema eines Kugehaufenreaktors © gemeinfrei

Doch das hat sich nun geändert: In der chinesischen Shandong-Provinz stehen die ersten kommerziellen HTR-PM Reaktoren kurz vor der Inbetriebnahme. Die beiden Reaktorblöcke sollen demnächst jeweils 105 Megawatt Strom liefern. Wie sicher diese neuen Atomreaktoren sind, haben nun Moormann und seine Kollegen näher untersucht.

Kein Containment

Ihr größter Kritikpunkt: Der neue Reaktor hat keinen Hochdruck-Sicherheitsbehälter, wie sonst bei den meisten Kernkraftwerken üblich. Diese zusätzliche Schutzhülle umschließt den Reaktordruckbehälter und den primären Kühlkreislauf und verhindert so, dass bei einem Leck oder Unfall radioaktive Gase und Material in die Umwelt gelangen.

„Wenn sich ein Riss in dem unter Hochdruck stehenden Helium-Kühlsystem ereignet, kann das Kühlgas zusammen mit Staub und Radioisotopen daher schnell in die Umwelt freigesetzt werden“, berichten die Forscher. Hinzu komme, dass die Shandong-Reaktoren nicht über zweites, redundantes Kühlsystem verfügen – fällt das erste aus, gibt es keinen Ersatz.

Kontaminierter Staub

Doch wie hoch ist das Risiko konkret? Immerhin sind die Urankügelchen durch ihre Hüllschicht selbst innerhalb des Reaktorbehälters gegenüber der Umwelt isoliert. „Die rund 35 Mikrometer dicke Silizumcarbid-Schicht ist die primäre Barriere gegenüber dem Austritt des Brennstoffs und schmilzt auch unter Unfallbedingungen nicht“, erklären die Forscher.

Dafür aber kann das Hüllmaterial im Laufe des Betriebs erodieren und winzige Risse bekommen. Durch diese können dann radioaktive Spaltprodukte austreten. Hinzu kommt, dass der Durchstrom von trockenem Heliumgas zu einer deutlich höheren Erosion des Graphits in den Hüllen der Brennstoff-Pellets führt, wie Versuche ergaben. Dadurch entsteht im Laufe der Zeit immer mehr Staub, an den sich entweichende Radioisotope binden können.

AVR-Kugelhaufen-Reaktor in Jülich während seines Rückbaus. © Maurice van Bruggen/ CC-by-sa 3.0

Bei einem der Versuchsreaktoren dieses Typs, dem AVR Jülich, führte dies dazu, dass unerwartet große Mengen an kontaminiertem Staub entstanden. „Das verursachte eine schwere Kontamination des gesamten Reaktorkerns“, berichten Moormann und seine Kollegen. „Fast 100 Terabecquerel an Strontium-90 und Cäsium-137 wurden später dort gemessen – das machte den AVR zur am stärksten mit Strontium-90 verseuchten Anlage weltweit.“

Risiko auch in Shandong?

Nach Einschätzung der Wissenschaftler könnte es auch in den chinesischen Shandong-Reaktoren zu einer Erosion der Brennstoffkügelchen und damit einer verstärkten Staubentwicklung kommen. Weil der Reaktorkern dort deutlich größer ist als beim AVR, könnte auch die mechanische Belastung der Kügelchen durch aufliegende Schichten höher sein.

Ein weiteres Risiko bildet der im Reaktorkern eingebaute Wärmetauscher, der die Hitze des Heliums zur Erzeugung von Wasserdampf für die Stromerzeugung nutzt. „Ein Unfall, bei dem Wasserdampf aus diesem System frei wird, ist durchaus wahrscheinlich und gilt als ein diesem Design inhärentes Risiko“, so die Wissenschaftler. Doch wenn die Dichte des Wasserdampfs im Reaktorkern 0,03 Gramm pro Kubikzentimeter übersteigt, überhitzt das Graphit und die Brennstoffkugeln werden beschädigt, so die Forscher.

„Wachsamkeit und Vorsicht geboten“

„Das alles ist kein Grund zur Panik“, betont Moormann. „Aber die Nuklear-Technologie hat nun mal Risiken. Und es ist essenziell, diese Risiken realistisch einzuschätzen und zu verstehen – vor allem für diejenigen, die das Kernkraftwerk betreiben. Wir raten daher zur Vorsicht und weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen bei HTR-PM.“

Konkret empfehlen die Experten, die Shandong-Reaktoren nur langsam hochzufahren. In dieser ausgedehnten Starphase sollten die Temperaturen nur langsam erhöht werden, während man den Zustand der Brennstoffkügelchen kontinuierlich überwacht. Auch lokale Hotspots mit übermäßig heißen Temperaturspitzen, wie sie in einigen Testreaktoren bereits beobachtet wurden, könnte man so frühzeitig ausfindig machen.

Um das Risiko einer radioaktiven Verseuchung der Umwelt im Falle eines Störfalles zu minimieren, raten die Forscher zudem dazu, einen Sicherheitsbehälter oder zumindest zusätzliche Staubfilter einzubauen. „Angesichts der bisher nur geringen Erfahrungen mit Kugelhaufen-Reaktoren und dem Fehlen einer Hochdruck-Sicherheitshülle, sind Wachsamkeit und Vorsicht geboten“, betonen die Wissenschaftler. Ob die chinesischen Kraftwerksbetreiber diese Empfehlungen umsetzen, darf allerdings bezweifelt werden. (Joule, 2018; doi: 10.1016/j.joule.2018.07.024)

(Cell Press, 24.08.2018 – NPO)

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