Mikrobiologie

Blaualgen leben auch ohne Licht

Forscher finden erstmals lebende Cyanobakterien in 613 Meter tiefem Gestein

Die violetten und roten Flecken zeigen aktive Cyanobakterien in der Gesteins-Bohrprobe an © PNAS

Überleben trotz Dunkelheit: Eigentlich benötigen Cyanobakterien das Sonnenlicht zum Überleben – wie andere Pflanzen auch. Doch nun haben Forscher bei einer Tiefbohrung in Spanien lebensfähige Blaualgen sogar in gut 600 Meter Tiefe entdeckt. Die Cyanobakterien fanden sich in winzigen Poren und Ritzen des Gesteins und waren dort trotz Dauerdunkels aktiv. Die ältesten pflanzlichen Organismen der Erde sind demnach überraschend anpassungsfähig.

Der „Keller“ der Erde ist alles andere als leer und tot: Obwohl tief in der Erdkruste Dauerdunkel, Enge, hoher Druck und Hitze herrschen, wimmelt es selbst dort noch vor Leben. Selbst 2.500 Meter unter dem Meeresgrund haben Forscher noch lebende Bakterien und andere Mikroben nachgewiesen. Und im „Untergeschoss“ unserer Kontinente könnte es sogar Quadrilliarden lebender Zellen geben.

Alle bisher bekannten Bewohner dieser tiefen Biosphäre hatten jedoch eines gemeinsam: Sie gehörten zu den Bakterien oder Archaeen und waren für ihre Energie und Nährstoffe nicht auf das Sonnenlicht und die Fotosynthese angewiesen. Im Dauerdunkel der Erdkruste gewinnen diese Mikroben ihre Energie stattdessen durch chemische Reaktionen mit Wasserstoff und anderen im Gestein vorhandenen Stoffen.

Blaualgen-RNA in 600 Metern Tiefe

Doch jetzt haben Forscher um Fernando Puente-Sánchez vom spanischen Nationalinstitut für Technik und Luftfahrt in Madrid einen Bewohner der Tiefe entdeckt, den es dort eigentlich nicht geben dürfte: Cyanobakterien. Diese urtümlichen Einzeller gelten als die ersten Organismen, die die Fotosynthese nutzten und als Sauerstofflieferanten für die Uratmosphäre der Erde.

Anteile von Cyanobakterien und anderen Mokroben im Gestein. © Puente-Sánchez et al./ PNAS

„Cyanobakterien sind schon lange als ökologisch sehr anpassungsfähige Organismen bekannt“, erklären die Wissenschaftler. „Aber bis jetzt schien ihre ökologische Spannbreite auf Umwelten beschränkt zu sein, in denen es zumindest manchmal Sonnenlicht gibt.“ Umso überraschter waren die Forscher, als sie bei einer Bohrung im Südwesten Spaniens das Gestein aus 420 und 607 Metern Tiefe auf Lebensspuren hin untersuchten.

Die Analyse der Proben auf mikrobielle RNA ergab: „Die häufigsten Organismen in beiden Proben waren Cyanobakterien“, berichten Puente-Sánchez und seine Kollegen. Ganze Haufen mehrerer Blaualgen-Gattungen wuchsen auf den Mineraloberflächen winziger Poren und Ritzen im Gestein., wie nähere Untersuchungen enthüllten.

Wasserstoff statt Fotosynthese

Doch wie überleben diese Cyanobakterien dort? In diesen Tiefen und mitten im Gestein gibt es weder Sonnenlicht noch eine andere Lichtquelle, die die Blaualgen für die Fotosynthese nutzen könnten. Tatsächlich ergab eine Fluoreszenz-Analyse, dass diese unterirdischen Cyanobakterien offenbar keine aktive Fotosynthese mehr betreiben: Ihre Fotosynthese-Pigmente sind reduziert, wie die Forscher berichten.

Massives Gestein: Die Cyanobakterien leben in winzigen Poren und Ritzen des Krustengesteins. © PNAS

Stattdessen haben die Cyanobakterien ihre Energieversorgung auf rein chemische Prozesse umgestellt. Dabei kam ihnen ein bereits vorhandener Notfall-Mechanismus zu Hilfe, wie die Wissenschaftler herausfanden: Wenn die Blaualgen zu viel Licht erhalten, löst dies einen Prozess aus, bei dem Elektronen aus der Zelle ausgeschleust und auf externe Elektronenakzeptoren umgelenkt werden – ähnlich wie dies von elektrogenen Bakterien bekannt ist.

„Dieser Schutzmechanismus könnte es den Blaualgen ermöglichen, Wasserstoff und andere Verbindungen anaerob zu oxidieren, indem sie Elektronen an Akzeptoren wie Eisen, Manganoxide oder phenolische Verbindungen abgeben“, erklären die Forscher. Durch diese Reaktion gewinnen die Cyanobakterien dann die Energie, die sie für den Aufbau energiereicher Zellbestandteile und für ihre Stoffwechselprozesse benötigen.

Blaualgen auch im Mars-Untergrund?

Das aber bedeutet: Cyanobakterien könnten für die tiefe Biosphäre eine viel wichtigere Rolle spielen als bisher gedacht, wie Puente-Sánchez und seine Kollegen betonen. Durch ihre Fähigkeit, selbst trockene, nährstoffarme und dunkle Umgebungen zu besiedeln und dort Wasserstoff als Hauptenergiequelle zu nutzen, sind Blaualgen wahrscheinlich ein wichtiger Primärproduzent für die Lebenswelt der Tiefe.

Spannend ist dies auch für die Astrobiologie: „Die Entdeckung dieser bisher unbekannten ökologischen Nische für Cyanobakterien eröffnet eine neue Sicht auch auf ihre potenzielle Präsenz in den Biosphären anderer Planeten und Monde“, konstatieren die Forscher. Rein theoretisch könnten Blaualgen demnach auch im Untergrund anderer Himmelskörper wie dem Mars existieren. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1808176115)

(PNAS, 02.10.2018 – NPO)

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