Einsatz für den Maschinendoktor: Künstliche Intelligenzen könnten künftig bei der Behandlung von Blutvergiftungen helfen. Denn Forscher haben ein selbstlernendes System entwickelt, das die optimale Therapiestrategie zuverlässig erkennt und Ärzten Empfehlungen für die Dosierung von Medikamenten gibt. Dadurch können im Klinikalltag womöglich tausende Patientenleben gerettet werden, so die Hoffnung.
Eine Sepsis ist tückisch. Die landläufig als Blutvergiftung bekannte Entzündungsreaktion des gesamten Organismus kann zu akutem Organversagen und damit zum Tod führen. Allein in Deutschland sterben jeden Tag durchschnittlich 162 Menschen daran. Weltweit gehört die Sepsis zu den Hauptursachen für Todesfälle in Krankenhäusern.
Damit betroffene Patienten die Erkrankung überleben, sind zwei Dinge entscheidend: Erstens muss die Entzündung schnell erkannt und zweitens mit der richtigen Dosis an Infusionsflüssigkeiten und Medikamenten behandelt werden, um den Blutdruck solange stabil zu halten, bis der auslösende Erreger bekämpft ist.
Suboptimale Therapie
Dabei gibt es allerdings ein Problem: Zwar existieren generelle Leitlinien für die Sepsis-Therapie. „Es fehlt aber ein Werkzeug, das Medizinern hilft, die Behandlung individuell an ihren Patienten anzupassen“, schreiben Matthieu Komorowski vom Imperial College London und seine Kollegen. „Als Folge variiert die Therapie in der Praxis extrem und suboptimale Entscheidungen führen immer wieder zu schlechten Ergebnissen für die Betroffenen.“
Um das zu ändern, haben die Wissenschaftler nun eine künstliche Intelligenz (KI) zur Hilfe geholt. Sie trainierten einen selbstlernenden Algorithmus darauf, die optimale Behandlungsstrategie im Einzelfall zu erkennen. Als Lerngrundlage dienten dabei tausende Daten von echten Patienten aus den USA: In welchen Fällen hatten die Betroffenen überlebt – wann waren sie verstorben?
Maschine gegen Mediziner
Die Analyse dieser Informationen machte die KI schließlich zu einem ausgewiesenen Experten in Sachen Sepsis. Ihre Erfahrung überstieg damit selbst die eines jahrzehntelang praktizierenden Arztes um ein Vielfaches, wie die Forscher betonen. Wie gut würde das Programm dank dieses Vorwissens im Klinikalltag als Entscheidungshelfer agieren?
Das testeten Komorowski und sein Team mit einem zweiten Datensatz mit rund 79.000 Patienten. Dabei verglichen sie unter anderem, ob und wie stark sich die Empfehlung des „Maschinendoktors“ von der tatsächlich durchgeführten Behandlung unterschied. Es zeigte sich: Patienten, die ähnliche Dosen an Flüssigkeit und speziellen Blutdruckmitteln – sogenannten Vasopressoren – erhalten hatten wie von der KI empfohlen, hatten die niedrigste Sterblichkeit.
Lebensrettende Empfehlungen
Doch in der Praxis hatten nur rund 36 Prozent der Patienten die empfohlene Infusionsdosierung erhalten. Die optimale Menge an Vasopressoren bekamen 58 Prozent der Betroffenen verabreicht. Je stärker die Dosierung dabei nach oben oder unten von der KI-Empfehlung abwich, desto höher waren die Sterblichkeitsraten in den jeweiligen Patientengruppen.
„In den vergangenen zehn bis 15 Jahren sind alle Ansätze, die Sterblichkeit bei Sepsis zu verringern, gescheitert“, konstatieren die Forscher. „Der Einsatz von computerbasierten Entscheidungshilfen könnte nun endlich den so sehr benötigten Erfolg bringen.“ Bevor künstliche Intelligenzen bei der Behandlung von Sepsis-Patienten assistieren können, muss ihr Nutzen zwar in klinischen Studien bestätigt werden.
Doch selbst eine Reduktion der Sterblichkeit um nur wenige Prozent würde zehntausenden geretteten Leben pro Jahr gleichkommen, wie das Team betont. (Nature Medicine, 2018; doi: 10.1038/s41591-018-0213-5)
(Nature Press, 23.10.2018 – DAL)