Medizin

Moos statt Cannabis

Einige Lebermoose enthalten THC-ähnliche Substanzen

Das Lebermoos Radula perrottetii - das neue Cannabis? © Stefan Fischer/ Universität Bern

Potenzieller Hanfersatz: In manchen Lebermoosen steckt ein Cannabinoid, das dem in Cannabis enthaltenen Rauschmittel THC strukturell sehr ähnlich ist. Forscher haben nun herausgefunden, dass es tatsächlich auch ähnlich wirkt. Demnach kann der Moos-Inhaltsstoff problemlos die Blut-Hirn-Schranke passieren und dort bestimmte Rezeptoren aktivieren. Damit könnte er sich durchaus als Medikament eignen, wie das Team im Fachmagazin „Science Advances“ berichtet.

Cannabis ist als berauschende Droge bekannt, macht sich zunehmend aber auch als Medikament einen Namen. Denn die Hanfpflanze hat zahlreiche positive Eigenschaften, von denen vor allem schwer kranke Menschen profitieren können: Die in ihr enthaltenen Cannabinoide lindern Schmerzen, lösen Krämpfe und mildern die bei der Krebstherapie häufige Übelkeit, wie Studien belegen. Vor allem dem Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD), aber auch dem für die Rauschwirkung verantwortlichen Tetrahydrocannabinol (THC) werden diese Wirkungen zugeschrieben.

Lange Zeit dachten Wissenschaftler, THC werde nur von Cannabis produziert – bis sie 1994 einen ganz ähnlichen Stoff in einem unscheinbaren Lebermoos entdeckten. Die unter anderem in Japan verbreitete Pflanze Radula perrottetii sowie einige verwandte Arten enthalten das sogenannte Perrottetinen. Dieses natürliche Cannabinoid hat eine vergleichbare Struktur wie die bekannte psychoaktive Substanz, wenngleich es auch einige strukturelle Unterschiede aufweist. So besitzt der Stoff unter anderem eine zusätzliche Benzylgruppe.

Drogen auf Moosbasis

Die Wirkung dieses THC-Verwandten erfreut sich in jüngster Zeit offenbar zunehmender Beliebtheit. So entdeckten Andrea Chicca von der Universität Bern und seine Kollegen vor einigen Jahren, dass Lebermoose im Internet als „Legal Highs“ angepriesen werden. Das Problem: Wie genau das Perrottetinen auf molekularer Ebene wirkt, ist bisher noch kaum erforscht. Um mehr über die möglichen Gefahren des Mooskonsums, aber auch seinen potenziellen therapeutischen Nutzen zu erfahren, haben die Wissenschaftler die Substanz nun genauer unter die Lupe genommen.

Dafür synthetisierten sie das in dem Lebermoos enthaltene Molekül sowie eine Variante mit leicht anderer Konfiguration und testeten, wie diese Stoffe auf das Nervensystem von Mäusen wirkten. Es zeichnete sich ab: Wie THC können beide Moleküle offenbar leicht die Blut-Hirn-Schranke passieren und aktivieren im Gehirn spezielle Cannabinoid-Rezeptoren. Dadurch entfalten die Moosbestandteile spürbare Effekte.

Wie nach Cannabis-Konsum

Bekamen Mäuse die Substanzen injiziert, zeigten sie Auffälligkeiten, die auch nach Cannabis-Konsum typisch sind. So waren sie weniger schmerzempfindlich, ihre Bewegungen verlangsamten sich und ihre Körpertemperatur sank. Doch die Forscher stellten auch pharmakologische Unterschiede zwischen den Perrottetinenen und THC fest.

„Die Substanzen haben zum einen einen etwas schwächeren psychoaktiven Effekt, zum anderen können sie Entzündungsprozessen im Gehirn besser entgegenwirken“, berichtet Chiccas Kollege Jürg Gertsch. Denn Perrottetinen sorgt dafür, dass weniger Prostaglandine im Gehirn ausgeschüttet werden – hormonähnliche Botenstoffe, die Entzündungen auslösen können.

Therapeutisches Potenzial

Die Ergebnisse erklären nicht nur, warum Lebermoose im Internet als „Legal Highs“ gehandelt werden. Sie zeigen auch, dass das in den unscheinbaren Pflanzen enthaltene Cannabinoid durchaus therapeutisches Potenzial hat. So wirkt Perrottetinen zwar weniger stark als THC, ist aber für medizinische Zwecke effektiv genug – und könnte weniger Nebenwirkungen haben, wie die Wissenschaftler betonen.

Bis Lebermoose als Therapeutikum zum Einsatz kommen können, sind allerdings weitere Studien nötig. Solange bleibt die Faszination: „Es ist schon erstaunlich, dass zwei durch 300 Millionen Jahre der Evolution getrennte Pflanzenarten ganz ähnliche psychoaktive Cannabinoide produzieren“, konstatiert Gertsch. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aat2166)

(AAAS/ Universität Bern, 25.10.2018 – DAL)

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