Gletscher und Eisströme fließen offenbar längst nicht so gleichmäßig wie gedacht. Wie eine jetzt in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie enthüllt, lassen Ebbe und Flut die Fließgeschwindigkeit des Rutford Eisstroms, einem der größten Gletscher der antarktischen Eisdecke, um bis zu 20 Prozent schwanken – und dies, obwohl er mehr als hundert Kilometer ins Landesinnere reicht.
Eisströme gleichen gewaltigen Flüssen aus Eis. Sie können mehrere hundert Kilometer lang sein, einige Kilometer breit und bewegen sich im Durchschnitt um einen Meter. Der Rutford Eisstrom ist rund 150 Kilometer lang, 25 Kilometer breit und sein Einzugsgebiet umfasst 52.000 Quadratkilometer – mehr als die gesamte Fläche der Niederlande. Nahezu alles Eis des antarktischen Schildes fließt durch solche Gletscherströme nach und nach Richtung Meer. Damit bilden diese eine wichtige Verbindung zwischen dem Ozean und dem langsamer wandernden Inlandeis der Antarktis. Das Verhalten dieser Eisströme ist daher von entscheidender Bedeutung unter anderem für die Prognose der Eisentwicklung in der Zukunft, aber auch für die Vorhersage des Meeresspiegelanstiegs.
Spring- und Nipptide verantwortlich
Forscher des British Antarctic Survey (BAS) nutzten GPS Messungen, um die Fließgeschwindigkeit des Rutford Eisstroms zu bestimmen – eine Standardmethode. Doch die Auswertungen der zwischen Dezember 2003 und Februar 2004 erhobenen Daten sorgten für eine Überraschung: Es zeigte sich, dass der Gletscher nicht etwa relativ gleichmäßig strömte, sondern deutliche, gezeitenabhängige Geschwindigkeitsschwankungen zeigte. Obwohl er sich im Durchschnitt rund einen Meter pro Tag vorwärts bewegt, variiert seine Strömung um bis zu 20 Prozent in einem Zyklus von jeweils zwei Wochen.
Sehr schnell fanden die Wissenschaftler heraus, dass diese Zyklen mit den Spring- und Nipptiden des Meeres in Verbindung stehen müssen. Alle zwei Wochen stehen Sonne und Mond in einer Linie und ihre vereinten Anziehungskräfte erzeugen dann auf der Erde besonders starke Gezeiten – die so genannten Springtiden. Dabei steigt das Wasser während der Flut sehr hoch und sinkt bei Ebbe relativ niedrig. Nipptiden dagegen treten dann auf, wenn die Schwerkräfte von Sonne und Mond sich gegenseitig abschwächen. Ebbe und Flut fallen dann deutlich schwächer aus.