Eine urtümliche Schafsrasse auf einer schottischen Insel schien bisher den Prinzipien von Darwins natürlicher Selektion zu widersprechen, denn die scheinbar „fittesten“ Exemplare wurden immer weniger. Doch jetzt haben Wissenschaftler mithilfe von Genanalysen herausgefunden, dass eine gekoppelte Vererbung mehrerer Eigenschaften hinter dem Geheimnis steckt.
Soay-Schafe gehören zu den urtümlichsten Schafsrassen weltweit. Vor rund 4.000 Jahren mit den ersten menschlichen Siedlern auf den schottischen Inseln der St. Kilda Gruppe angelangt, haben sie sich seither nicht verändert. 1932 wurden 107 Schafe auf die größere Insel Hirta umgesiedelt, die sich seither vermehrt haben und wahrscheinlich eine der am besten untersuchten Schafsherden der Erde bilden. Denn durch die isolierte Lage und ihre Urtümlichkeit stellen sie eine hervorragende Modellgruppe für Evolutionsbiologen und Populationsgenetiker dar.
Rätsel des schrumpfenden „Dunkelfell-Anteils“
In der aktuellen Studie ergründeten Jacob Gratten und Jon Slate von der Universität von Sheffield die bisher offene Frage, warum der Anteil der Soay-Schafe mit dem ursprünglichen, dunklen Fell in den letzten 20 Jahren auf der Insel stetig abgenommen hat – und dies, obwohl Tiere mit dieser Fellfarbe größer sind und als „fitter“ gelten. Nach der Evolutionstheorie von Darwin müssten sich deshalb eigentlich die dunklen Tiere im Laufe der Zeit durchgesetzt und die hellfelligen verdrängt haben. Doch genau dies geschah auf Hirta offensichtlich nicht.
Gekoppelte Gene verkomplizieren Selektion
Aber warum? Um das herauszufinden verglichen die Wissenschaftler die Häufigkeit und Kombination, in der verschiedene Gene im Erbgut der einzelnen Tiere auftauchten. Dieser statistisch-genetische Ansatz wird auch in der Medizin häufig eingesetzt um beispielsweise Krankheitsgene zu kartieren.
Es zeigte sich, dass die dunkle Fellfarbe nicht unabhängig von anderen Genen vererbt wird, sondern meist in Kombination mit weiteren, benachbarten DNA-Sequenzen, die die Körpergröße erhöhen, dafür aber – und genau das war der Schlüssel – den Reproduktionserfolg verringern. Umgekehrt wurde die Veranlagung für ein helles Fell gemeinsam mit geringerer Körpergröße und höherem Fortpflanzungserfolg vererbt. Bei den Tieren, die jeweils eine Kopie beider Varianten trugen, war das Fell zwar dunkel, ihr Reproduktionserfolg jedoch höher als der der „reinerbigen“ Dunkelschafe.
Für die Forscher ist damit vor allem eines klar: Der Prozess der Veränderung einer Population durch die natürliche Selektion ist nicht immer so einfach, wie es noch Darwin glaubte. Bei den Soay-Schafen, aber auch bei allen andern Organismen, spielt die genetische „Landkarte“ ebenfalls eine wichtige Rolle und führt so zu komplexen Vererbungs- und Evolutionsmustern.
„Das Ziel dieser Studie war es, besser zu verstehen, wie die Evolution durch die natürliche Selektion wirkt“, erklärt Gratten. „Sie zeigt, dass es schwer ist, die evolutionsbiologische Reaktion auf einen Selektionsdruck vorherzusagen, ohne zu wissen, welche Gene nahe beieinander liegen. Erst das Wissen um die genetische Basis dieser sichtbaren Eigenschaft machte es möglich, seine Evolution zu verstehen.“
(University of Sheffield, 21.01.2008 – NPO)