Wie fließt eigentlich elektrischer Strom? Diese Frage ist keineswegs so trivial, wie man glaubt. Denn erst jetzt ist Wissenschaftlern ein direkter, mikrometergenauer Blick auf das Verhalten von Elektronen in einem Metallleiter gelungen. Wie sie in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, stießen sie dabei gleich auf zwei Überraschungen.
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Traditionellerweise wird elektrischer Strom zur Veranschaulichung oft mit fließendem Wasser verglichen. Aber passt dieser Vergleich überhaupt? Genau das wollten Wissenschaftler um Jörg Schmiedmayer an der TU Wien gemeinsam mit Kollegen von der Universität Heidelberg und der Ben-Gurion Universität in Israel mit Hilfe einer neuen Beobachtungsmethode herausfinden. Mithilfe der so genannten Magnetfeldmikroskopie mit ultrakalten Atomen gelang ihnen erstmals eine Beobachtung des Stromflusses im Mikrometerbereich.
Ultrakalte Atomwolke als Messwerkzeug
Mit dieser erst vor wenigen Jahren entwickelten Methode können die Physiker feinste Magnetfelder und deren Veränderungen messen. Als Sensor diente ihnen eine Wolke aus Rubidiumatomen, die bis nahe an den absoluten Nullpunkt, bis hin zum Bose-Einstein-Kondensat, abgekühlt wird. Die Wolke wurde in einer Magnetfalle über einem stromdurchflossenen hauchdünnen Goldfilm positioniert. Kleinste Variationen des Magnetfeldes innerhalb der Probe machen sich in der kalten Atomwolke als unterschiedliche Dichten bemerkbar. Diese wiederum können mittels eines Laserstrahls optisch sichtbar gemacht werden.
Durch die Beobachtung der Magnetfelder mit einer räumlichen Auflösung von drei Mikrometern konnten die Physiker auf den Fluss von elektrischem Strom im Goldfilm schließen. Die Methode ist derart genau, dass lokale Änderungen der Stromflussrichtung von einem Tausendstel Grad vermessen werden können, dass entspricht einer Ablenkung von wenigen Millimetern auf 100 Meter.
Elektronen überraschen Forscher
Tatsächlich ergaben die Beobachtungen Überraschendes: So zieht sich der Stromfluss keineswegs gleichförmig durch den Goldfilm. Wie bei einem flachen Bach, in dem der Wasserfluss durch Steine und sonstige Hindernisse gestört wird, ist der Stromfluss zahlreichen und zufällig verteilten Störungen unterworfen, welche auf Defekte und Widerstände in der Folie zurückzuführen sind. Die Wissenschaftler entdeckten Muster, bei denen die Elektronen um 45 Grad von der geraden Richtung abgelenkt wurden. Diese Muster spiegeln den fundamentalen Prozess der Elektronenstreuung an einem Defekt wider.
Seltsamerweise verläuft jedoch der Stromfluss ausgerechnet in den dünnsten Goldschichten am geradesten, viel gerader als man naiv erwarten würde. Durch eine detaillierte Analyse zeigte die Forscher, dass verschiedene Komponenten zu den Stromfluss- Richtungsänderungen beitragen und sich in den untersuchten Drähten unterschiedlich verhalten. Diese Ergebnisse sind zum Teil im Widerspruch zu dem, was man aus den traditionellen Untersuchungen erwarten würde.
Die neuen Experimente erlauben erstmals einen sehr feinen Blick auf den Stromfluss in verschiedenen Materialien – und das über große Flächen mit hoher räumlicher Auflösung. Die Wissenschaftler erwarten sich durch die Anwendung der Magnetfeldmikroskopie viele neue Erkenntnisse sowohl für die Grundlagenforschung als auch für Mikro- und Nano-Elektronik, oder in den Materialwissenschaften.
(Universität Heidelberg, 06.03.2008 – NPO)