Im „Nachrichtenwesen“ von Organismen spielen Ionenkanäle eine wichtige Rolle: Eingelagert in die Zellmembran bilden diese Proteine winzige Poren, durch die kleine geladene Teilchen wie Ionen vom Zellinneren nach außen gelangen können und umgekehrt. Sie vermitteln auf diese Weise unter anderem die elektrische Aktivität von Nerven- und Muskelzellen. Wissenschaftler haben nun erstmals einen physikalischen Mechanismus identifiziert, der für das Öffnen und Schließen von Ionenkanälen verantwortlich sein kann.
Der Ausfall von Ionenkanälen kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Deshalb ist ein Verständnis ihrer Struktur und Funktion von großer Bedeutung, so die Forscher in der Fachzeitschrift Biophysical Journal BioFAST.
Wenn Sie zum Frühstück eine Tasse Tee oder Kaffee trinken und ihre Tasse anheben und zum Mund bewegen, dann verarbeitet ihr Gehirn zum einen Informationen über Temperatur und Gewicht der Tasse, zum anderen über die Position ihrer Hand. Und daraus resultieren entsprechende Befehle an die Muskeln ihres Arms, um die Bewegung der Tasse zum Mund zu koordinieren. Diese Informationen zwischen Hand und Gehirn werden entlang von Nervenbahnen ausgetauscht. Auch wenn Sie diese Bewegung alltäglich ausführen und ihr keine weitere Aufmerksamkeit schenken, so spielen sich doch auf der mikroskopischen Skala eine Menge atemberaubender Dingen ab, um dies zu ermöglichen.
Die Information entlang der Nervenbahnen breitet sich in Form eines so genannten Aktionspotenzials aus. Das Aktionspotenzial stellt eine Veränderung der elektrischen Spannung über der Zellmembran dar, die aus dem Einstrom von Natriumionen in die Zelle und einem darauffolgenden Ausstrom von Kaliumionen aus der Zelle resultiert. Die Zellmembran an sich ist für Ionen undurchlässig.
Ionen schlüpfen durch die Zemllmembran
Damit Natrium- und Kaliumionen durch die Zellmembran „schlüpfen“ können, stellt die Natur spezielle Proteine, sogenannte Ionenkanäle, zur Verfügung. Diese Kanäle sind mikroskopisch kleine Poren in der Membran, die je nach molekularer Bauweise nur für bestimmte Ionen durchlässig sind, und zum Beispiel Natrium- von Kaliumionen unterscheiden können. Die engste Stelle – hier hat der untersuchte Ionenkanal nur einen Durchmesser von etwa drei Ångström (ein Å = 10-7 Millimeter) – fungiert dabei als Selektivitätsfilter.
Der an den Selektivitätsfilter anschließende Teil der Pore – von den Wissenschaftlern als „Gate“ bezeichnet – ist mit einem Durchmesser von zwölf Ångström schon deutlich weiter. Als Reaktion auf eine Änderung der Membranspannung können Ionenkanäle den Durchmesser ihres „Gates“ vergrößern oder verkleinern. Diese Konformationsänderung reicht aber nicht notwendigerweise aus, um den Ionenstrom zu stoppen.
Wasserabweisendes Gate
Ein wichtiges Detail dabei ist, dass das „Gate“ typischerweise leicht hydrophob, also wasserabweisend ist. Wenn das „Gate“ weit genug ist, spielt die Wechselwirkung zwischen Wassermolekülen und dem Protein eine untergeordnete Rolle, weil im Mittel jedes Wassermolekül von mehreren Wassermolekülen umgeben ist.
Wird das Gate aber enger, dann gewinnt die Wechselwirkung zwischen Wassermolekülen und dem Protein an Bedeutung. Wird schließlich ein bestimmter Wert für den Durchmesser des „Gates“ unterschritten, dann ist es – aufgrund der abstoßenden Wirkung zwischen Wassermolekülen und Protein – sehr unwahrscheinlich, noch Wasser im „Gate“ zu finden. Es bildet sich hier stattdessen ein kleines Gasbläschen, das große Wirkung zeigt: Ionen, die sich am liebsten in Wasser befinden, treffen auf eine schier undurchdringbare Barriere. Damit unterbricht das Gasbläschen den Ionenstrom durch den Kanal und schließt das „Gate“.
„Tatsächlich können eine Vielzahl von experimentellen Beobachtungen zum Öffnen und Schließen von Ionenkanälen mit diesem Modell des Bubble Gating verstanden werden“, erklärt Roland Roth vom Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart, der zusammen mit Kollegen von der Rush Medical School in Chicago sowie der Miller School of Medicine an der Universität in Miami die neue Studie durchgeführt hat. In der Physik ist dieser Effekt von stark eingeschränkten Flüssigkeiten seit langem bekannt – nun kann er helfen, ein biologisches Phänomen zu verstehen.
Bubble Gating-Modell
Interessanterweise bietet das Bubble Gating-Modell auch eine Möglichkeit, die betäubende Wirkung eines Edelgases wie Xenon zu erklären. Wird Xenon in der richtigen Konzentration in die Atemluft gemischt, dann stellt es ein praktisch perfektes Narkotikum dar. „Da Xenon chemisch sehr träge ist, scheiden Mechanismen, die auf chemisch spezifische Bindungen aufbauen, sehr wahrscheinlich als Erklärung aus“, sagt der junge Biophysiker. „Aber Rechnungen im Bubble Gating-Modell haben gezeigt, dass Xenon schon bei geringen Konzentrationen die Wahrscheinlichkeit der Bläschenbildung erhöht, auch wenn das ‚Gate‘ noch relative weit ist.“
Im Rahmen des vorgestellten Modells können eine Reihe bekannter Phänomene zusammengefasst und theoretisch untersucht werden. Damit ermöglicht das Modell nicht nur, die faszinierenden Prozesse an Nervenzellen neu zu beleuchten, die ablaufen, wenn Sie ihre Tee- oder Kaffeetasse zum Mund führen, sondern stellt auch neue Möglichkeiten zur Verfügung, um Narkose- und Arzneimittelwirkungen zu untersuchen.
(idw – MPG, 12.03.2008 – DLO)