In der Evolution gibt es kein Zurück: Die Entwicklung geht hin zum immer Komplexeren. Diese möglicherweise erste allgegenwärtige Regel der Evolution entdeckten Wissenschaftler bei der Analyse des Stammbaums der Krebstiere in den letzten 550 Millionen Jahren. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences” veröffentlicht.
Kein Weg zurück zum Einfachen?
Das Forscherteam blätterte dafür 550 Millionen Jahre zurück im großen Katalog der Fossilien und analysierte dabei die Entwicklung verschiedener Zweige des Stammbaums der Krebstiere. Sie suchten gezielt nach Beispielen von Tieren, die einfacher „gestrickt“ waren als noch ihre Vorfahren. Bei den Krebstieren entspricht dieses „einfacher“ einem Aufbau aus mehreren gleichartigen Segmenten. Bei komplexeren Krebsen, wie beispielsweise Garnelen oder Hummer, trägt nahezu jedes Segment andere Anhänge und hat eine andere Funktion im Körper.
Doch die Suche der Wissenschaftler war vergebens: Denn statt einfacherer Formen fanden die Wissenschaftler nur zunehmend komplexere Strukturen und Eigenschaften.
„Wenn man mit dem einfachsten vorstellbaren Bauplan beginnt, gibt es für die Entwicklung nur eine Richtung – sie muss komplexer werden“, erklärt Matthew Wills, Biologe und Biochemiker der Universität von Bath. „Früher oder später jedoch erreicht man ein Niveau der Komplexität, von dem aus es auch möglich ist, wieder zurück zu gehen und einfacher zu werden. Das Erstaunliche ist aber, dass unter den Krebstieren kaum eines diesen ‚Rückwärtsgang eingelegt hat.“ Stattdessen entwickelten sich fast alle Zweige in die gleiche Richtung, wurden parallel zueinander immer komplexer.
Treibende Kraft in Richtung Komplexität
Nach Ansicht der Forscher spricht alles dafür, dass es in der Evolution eine treibende Kraft gibt, die in Richtung auf Komplexität wirkt. „Das ist die bisher nächste Entsprechung zu einer allgegenwärtigen evolutionären Regel, die bisher gefunden worden ist“, so Wills. „Natürlich gibt es Ausnahmen im Familienstammbaum der Krebstiere, aber die meisten Vertreter davon sind Parasiten oder Tiere, die in extrem entlegenen Habitaten leben, wie isolierten Meereshöhlen.“
Tatsächlich scheint es sogar eine Verbindung zwischen der durchschnittlichen Komplexität einer Tiergruppe und der Anzahl der heute noch lebenden Arten zu geben. „Die Krustazeengruppen, die ausgestorben sind, neigten dazu, weniger komplex zu sein als die anderen zu ihrer Zeit“, so Wills. „Für die frei lebenden Tiere im Wettrennen der Evolution scheint die Konkurrenz eine treibende Kraft hinter diesem Trend gewesen zu sein.“
Trend gilt nicht für alle Lebewesen
”Frühere Studien stellten bereits die zunehmende morphologische Komplexität in den Fossilien fest, aber dieses Muster könnte auch auf die zufällige Entstehung von einigen neuen Typen von Tieren zurück zu führen sein“, erklärt Sarah Adamowicz von der Universität von Waterloo in Kanada. „Unsere Studie nutzt Informationen über die verwandtschaftlichen Beziehungen verschiedener Tiergruppen – den Baum des Lebens – um zu demonstrieren, dass Komplexität sich mehrfach unabhängig voneinander entwickelt hat.”
Allerdings schränken die Forscher ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen auch etwas ein: „Unsere Ergebnisse beziehen sich auf eine Gruppe von Tieren, deren Körper aus sich wiederholenden Einheiten bestehen“, so Adamowicz. „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Bakterien – sehr einfache Organismen – zu den erfolgreichsten Lebewesen gehören. Daher ist der Trend hin zu einer immer größeren Komplexität zwar bezwingend, beschreibt aber offensichtlich nicht die Geschichte allen Lebens.“
(University of Bath, 18.03.2008 – NPO)