Umwälzungen des Erdmantels fördern das tiefe Erdinnere an die Oberfläche und erzeugen ständig neuen Ozeanboden an den mittelozeanischen Rücken. Dabei entstehen vulkanische Schmelzen, die fast immer eine mehrere Kilometer mächtige Basaltschicht erzeugen und die Mantelgesteine bedecken. Forscher berichten nun in „Nature“, dass sie am arktischen Ozeanrücken, wo die Basaltbedeckung über größere Strecken fehlt, frische Gesteinsproben direkt aus dem Erdmantel zu Tage gefördert haben. Mithilfe von Isotopenmessungen konnten sie zeigen, dass diese Gesteine bereits vor zwei Milliarden Jahren aufgeschmolzen wurden.
Der Gakkel-Rücken erstreckt sich unter dem Arktischen Meer über 1.800 Kilometer vom Norden Grönlands bis nach Sibirien. Er ist der nördlichste Ausläufer des mittelozeanischen Rückensystems, jener gewaltigen 75.000 Kilometer langen vulkanischen Gebirgskette unter dem Meer, in der durch aufsteigendes Magma neuer Meeresboden, ozeanische Kruste, entsteht. Der Gakkel-Rücken ist für Geowissenschaftler besonders interessant, weil er mit einem Zentimeter pro Jahr der sich am langsamsten spreizende Ozeanrücken auf der Erde ist, also 20 Mal langsamer als beispielsweise der wesentlich besser erforschte Ostpazifische Rücken.
Nahtstelle der Kontinentalverschiebung erkundet
Um diese Nahtstelle der Kontinentalverschiebung im Nordpolarmeer und seine Entstehung zu erkunden, nahmen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie an zwei internationalen Expeditionen mit dem deutschen Eisbrecher „FS Polarstern“ teil. Sie konnten dabei Gesteinsproben sammeln, die direkt aus dem oberen Bereich des Erdmantels stammen.
Der größte Teil des Erdmantels besteht aus dem Gestein Peridotit. Die gesammelten Gesteinsproben haben die Mainzer Wissenschaftler anhand sehr genauer Messungen von Isotopenhäufigkeiten der natürlichen radioaktiven Zerfallssysteme untersucht. Natürlicher Zerfall des radioaktiven Elements Rhenium zu einem Isotop des Elements Osmium verändert kontinuierlich die Isotopenzusammensetzung des Osmiums. Wenn ein Peridotit-Gestein des Erdmantels schmilzt, wird mit der Schmelze dem Gestein das Mutterelement Rhenium entzogen, so dass die Isotopenhäufigkeit des Osmiums zum Zeitpunkt der Schmelzbildung im Erdmantel eingefroren wird.
„Fossiles“ Osmium
Ein solch „fossiles“ Osmium fanden die Mainzer in den außergewöhnlich gut erhaltenen Gesteinsproben des arktischen Meeresbodens, und sie berechneten, dass Schmelzbildung und -entzug bereits vor etwa zwei Milliarden Jahren stattgefunden haben muss. In den heutigen Schmelzprodukten solcher Gesteine des Erdmantels, den normalen Ozeanbodenbasalten, fand man bisher merkwürdigerweise kein solch fossiles
Osmium.
Die Mainzer Geochemiker schließen daraus, dass die fossilen Mantelgesteine ihre schmelzfähigen Bestandteile bereits vor zwei Milliarden Jahren verloren haben und deshalb heute keine Basalte mehr produzieren würden. So oder so, die Peridotite des arktischen Ozeanbodens haben ein neues Fenster zur Entwicklungsgeschichte des Erdmantels geöffnet.
(idw – Max-Planck-Institut für Chemie, 20.03.2008 – DLO)