Die Erde dreht sich nicht gleichmäßig, sondern „eiert“. Die Tageslänge kann sich binnen 24 Stunden um bis zu eine Millisekunde ändern, zudem „taumelt“ der Planet um seine Rotationsachse und lässt dabei Orte innerhalb eines Jahres um bis zu 15 Meter vom ursprünlichen GPS-Peilpunkt abweichen. Um diese Schwankungen auszugleichen, vermessen Geodäten zweimal in der Woche die Erde neu.
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Das kleine Örtchen Laufenburg an der Deutsch-Schweizer Grenze wurde im vergangenen Dezember kurzzeitig berühmt: Die von Schweizer Seite her gebaute neue Rheinbrücke und ihre Anbindung am deutschen Ufer wichen in der Höhe um 54 Zentimeter voneinander ab; „Rheinbrücke mit Treppe“ spottete prompt der „Spiegel“. Grund für den Schildbürgerstreich: Deutschland bezieht sich bei Höhenangaben auf den Meeresspiegel der Nordsee, die Schweiz auf das Mittelmeer. Dazwischen klafft aber eine Lücke von 27 Zentimeter, die das Planungsbüro leider „falsch herum“ korrigierte.
Tageslänge schwankt, Erde taumelt
Um Pannen wie diese tunlichst zu vermeiden, arbeiten Geodäten auf der ganzen Welt an international verbindlichen Koordinatensystemen. Auch das Geodätische Institut der Universität Bonn legt regelmäßig das Maßband an unseren Heimatplaneten. Immer montags und donnerstags messen die Bonner Geodäten die Erdrotation. Grund für den Aufwand: Unsere Erde eiert. Die Tageslänge kann sich binnen 24 Stunden um bis zu eine Millisekunde ändern. In Jahren mit dem Klimaphänomen „El Niño“ dreht sich die Erde merklich langsamer um ihre Achse, wahrscheinlich wegen der geänderten Verteilung der Luftmassen und der Strömungsverhältnisse in den Weltmeeren.
„Für die Navigation von Flugkörpern im Weltraum benötigt man aber unter anderem die genaue Drehstellung der Erde, um die Position der Sonde im Weltraum berechnen und die Steuerdüsen zum richtigen Zeitpunkt auslösen zu können“, erklärt der Privatdozent. Außerdem taumelt die Erde wie ein Kreisel um seine Rotationsachse. Von einem geostationären Satelliten aus betrachtet, wandern Straßen, Städte, Flüsse und Berge im Laufe eines halben Jahres um bis zu 15 Meter hin und her. Ohne ständige Korrektur würde daher die GPS-navigierte Limousine bald nicht mehr auf der Straße fahren, sondern auf dem Acker nebenan.
Radioteleskope über tausende Kilometer verbunden
Wichtigstes Messverfahren der Geodäten ist die so genannte VLBI (Very Long Baseline Interferometry). Dabei kommen Paare von Radioteleskopen zum Einsatz, die mehrere tausend Kilometer voneinander entfernt sind. Mit ihnen peilen die Wissenschaftler starke punktförmige Radioquellen am Rande des bekannten Universums an, die Quasare. Sie dienen bei der Messung als Fixpunkte. Weil die Messstationen auf der Erde so weit voneinander entfernt sind, empfangen sie die Radiosignale mit einem geringen zeitlichen Abstand. „Aus dieser Differenz kann der Computer beispielsweise die Drehstellung der Erde berechnen, aber auch den Abstand zwischen den Radioteleskopen – und das bis zu einer Genauigkeit von zwei Millimetern pro 1.000 Kilometer“, so Dr. Nothnagel nicht ohne Stolz. So lässt sich mit VLBI auch nachweisen, dass Europa und Nordamerika sich nicht nur politisch voneinander entfernen: Der Abstand wächst jährlich um fast zwei Zentimeter.
Zeitgleicher Messzyklus
Ein paar Tage vor einer VLBI-Messung schickt das Bonner Team eine Mail mit den berechneten Beobachtungszeiten und anzupeilenden Zielen an die beteiligten Radioteleskope. Durch Atomuhrsignale synchronisiert, richten sich überall auf der Welt zeitgleich die riesigen schüsselförmigen Antennen aus. Jede Station peilt in einem 24-Stunden-Messzyklus 200 bis 300 vorher festgelegte Quasare an und zeichnet auf speziellen Magnetbändern oder -platten die empfangenen Signale auf. Dabei kommen leicht mehrere Terrabit zusammen – das entspricht pro Station der Datenmenge auf rund 220 DVDs. Per Kurier gehen die Daten sämtlicher Stationen dann an einen so genannten „Korrelator“, von denen es weltweit nur drei Exemplare gibt. Das Gerät bestimmt die Laufzeitunterschiede der Quasarsignale, aus denen dann Koordinaten, die Erdstellung und andere Werte berechnet werden.
„Diese Berechnungen nehmen wir teilweise auch hier in Bonn vor“, erklärt Nothnagel: Einer der Korrelatoren steht am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR); die Geodäten nutzen ihn im Rahmen einer Vereinbarung zwischen dem Geodätischen Institut, dem MPIfR und dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie. Der Bonner Privatdozent: „Unter den Einrichtungen, die sich mit VLBI beschäftigen, gehören wir international zu den fünf größten; als Koordinationsstelle ist unser Institut weltweit gefragt.“
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 06.05.2004 – NPO)