Neurowissenschaftler sind bei der Frage, wie das Gehirn räumliche, dreidimensionale „Karten“ anlegt einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Die Forschungen an Ratten könnten eines Tages helfen, die Alzheimer Krankheit zu verstehen und zu behandeln, da bei dieser Erkrankung die gleichen Hirnregionen betroffen sind, die die räumliche Information steuern.
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Die Forscher um Dr. Kate Jeffery vom University College London (UCL) berichteten über ihre Ergebnisse auf der Tagung der Federation of Neuroscience Societies (FENS) in Genf.
Seit langem ist bekannt, dass Menschen und andere Säugetiere „kognitive Karten“, räumliche Repräsentationen ihrer Umgebung, im Gehirn anlegen, die es ihnen ermöglichen, sich zurecht zu finden. Diese „Karten“ bestehen aus Nervenzellen, die als Platzzellen und als Rasterzellen – so genannte grid cells – bezeichnet werden und sich im Hippocampus sowie im entorhinalen Kortex befinden, den Regionen im Gehirn für das Gedächtnis.
Jede Platzzelle repräsentiert einen speziellen Ort und wird aktiv, wenn sich ihr „Besitzer“ an diesem Ort befindet. Rasterzellen, so nehmen Forscher an, liefern den Platzzellen Informationen über Entfernungen und Richtungen. „Wir haben ziemlich viel darüber gelernt, wie Neuronen flache Räume widerspiegeln“, sagte Jeffery. „Was wir aber in der Tat nicht wissen ist, wie diese Informationen in die dritte Dimension erweitert werden. Sind unsere Karten wirklich nur flach, oder tatsächlich dreidimensional?“
Ratten auf der Wendeltreppe
Um diese Frage zu lösen, setzten die Forscher Ratten auf eine Wendeltreppe, die die Tiere hinauf- und herunterlaufen mussten, um an Futter zu kommen. Die Forscher analysierten dabei die Aktivität einzelner Neuronen. Resultat: die Platzzellen sprechen auf Höhe an, die Rasterzellen jedoch nicht.
Jeffery: „Es besteht deshalb die Möglichkeit, dass die vertikale Dimension unterschiedlich zu der horizontalen Dimension repräsentiert ist, was wir auf schrägen Oberflächen erforschen. Wir nutzen auch Labyrinthe, in denen sich die Ratten frei in alle Richtungen bewegen können“. Die Vorstellung, dass vertikaler und horizontaler Raum unter-schiedlich chiffriert sind, mag auch erklären, weshalb zum Beispiel Menschen in mehrstöckigen Gebäuden sehr leicht die Orientierung verlieren.
Farben leisten Beitrag zur kognitiven Karte
Jeffery interessiert auch, wie nichträumliche Hinweise einem Tier helfen, seine Umwelt zu kartieren. So ist beispielsweise bekannt, dass bestimmte Gerüche und Farben und sogar Absichten und Erwartungen der Tiere ihren Beitrag zu der kognitiven Karte im Gehirn leisten können.
„Das ist ein bisschen komplizierter als nur eine räumliche Karte, weil Ereignisse, von denen das Tier annimmt, dass sie geschehen könnten, auch noch in die Karte aufgenommen werden“, sagt sie. Im Wesentlichen nutzt die Karte das Wissen, welches das Tier in seinem Gedächtnis gespeichert hat, um seine Umwelt zu verstehen. In der Tat ist die Verbindung zwischen solch einer mentalen Karte und dem Gedächtnis sehr eng – die gleichen Hirnareale, die den Raum im Gehirn von Ratte und Mensch verschlüsseln, sind auch für das biographische, episodische Gedächtnis oder für die Erinnerung an vergangene Vorkommnisse, wichtig.
Wie sind Raum und Gedächtnis verwoben?
„Wir versuchen uns ein Bild davon zu machen, wie Raum und Gedächtnis miteinander verwoben sind“, erläutert Jeffery. Die Alzheimer Krankheit zeigt, wie eng die Verarbeitung von räumlichen Informationen und Gedächtnis miteinander verbunden sind. Bei der Alzheimer Erkrankung ist der Hippocampus betroffen, wo sich die Platzzellen befinden, sowie der entorhinale Kortex mit seinen Rasterzellen.
„Das wichtigste Anzeichen für die Degeneration dieser Strukturen ist der Verlust des episodischen Gedächtnisses“, erläutert Jeffery. Gleichwohl erleben Menschen mit Alzheimer zunächst oft den Verlust des Ortsgedächtnisses.
(ProScience Communications, 14.07.2008 – DLO)