Medizin

Kristalle als Krankmacher

Mechanismus für chronische Entzündungen enträtselt

Nicht nur Bakterien und Viren, auch Kristalle können krank machen. Dabei setzen diese unabhängig von ihrer Struktur alle die gleiche Immunreaktion in Gang, wie Wissenschaftler jetzt in „Nature Immunology“ berichten. Sie enthüllten den grundlegenden Mechanismus für die ausgelösten Entzündungen und identifizierten dabei ein wichtiges Schlüsselprotein.

Wer bei Krankheitserregern nur an Bakterien, Viren und andere Parasiten denkt, hat mindestens eine wichtige Kategorie vergessen. Denn auch Kristalle können medizinisch relevant sein. So wird etwa die Staublunge der Bergarbeiter durch Quarzsand ausgelöst, während Harnsäurekristalle in den Gelenken Gicht verursachen. Selbst bei der neurodegenerativen Alzheimerschen Erkrankung spielen kristalline Strukturen eine Rolle. In all diesen Fällen reagiert der Körper mit einer chronischen Entzündung.

Kristalle als Januskopf

Auf der anderen Seite werden aber seit mehreren Jahrzehnten Kristalle in Form von Aluminiumsalzen bei Impfungen eingesetzt. Sie sollen als so genanntes Adjuvans die Wirkung des Impfstoffs unterstützen. Eine kristalline Substanz, das Alum, ist noch immer das einzige Adjuvans, das die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA für humane Impfungen zugelassen hat – obwohl man bislang den Wirkmechanismus nicht verstanden hat.

Diese Lücke könnte sich jetzt aber schließen. Ein internationales Forscherteam, dem auch der Mediziner Franz Bauernfeind von der Pressemitteilung Ludwig- Maximilians- Universität München (LMU) angehört, hat nun erstmals den molekularen Mechanismus beschrieben, der dieser Abwehrreaktion zugrunde liegt. Man weiß bereits, dass Kristalle und ähnliche Strukturen eine massive Entzündungsreaktion im Organismus verursachen.

Alle Entzündungen nach gleichem Muster

„Wir konnten jetzt aber erstmals beschreiben, welche molekularen Mechanismen dies auslösen“, so Bauernfeind. „Dabei zeigen wir, dass Entzündungen durch Kristalle auf der Freisetzung eines bestimmten Immunfaktors beruhen, dem Botenstoff Interleukin-1.Dabei reagiert der Körper auf alle Kristalle gleich, also unabhängig von ihrer spezifischen Struktur.“

Denn alle diese Strukturen – ob kristallines Material oder aggregierte Proteine – werden in der Abwehrreaktion des Körpers von Immunzellen aufgenommen. Der Versuch der Zelle, diese Fremdkörper dann in bestimmten Unterabteilungen, den Phagolysosomen, abzubauen, schlägt meist aber fehl. Weil der Körper die kristallinen Fremdkörper nicht beseitigen kann, entstehen dann chronische Entzündungen. Das kristalline Adjuvans der Impfungen könnte damit auch eine verstärkte – und in diesem Fall erwünschte – Abwehrreaktion auslösen und so einen größeren Impferfolg bewirken.

Protein initiiert die Abwehrreaktion

Dank der neuen Ergebnisse ist nun klar, welche molekularen Mechanismen der Entzündung zugrunde liegen: Die Kristalle in den Phagolysosomen führen zur Beschädigung dieser zellulären Untereinheiten. Dadurch aber werden Protein abbauende Enzyme in das Zellinnere abgegeben. Für den Körper ist dies ein universelles Gefahrensignal, auf das er mit einer Entzündung antwortet. Bei dieser Reaktion spielt das Enzym Cathepsin-B eine zentrale Rolle.

Das Augenmerk der Forscher richtete sich aber auf ein anderes Protein: Nalp3 ist ein Bestandteil des Inflammasoms, eines Komplexes aus mehreren Immunfaktoren, der auf unspezifische Gefährdungen des Organismus reagiert. Das Protein Nalp3 spielt dabei eine Schlüsselrolle: Es erkennt die zerstörten Lysosomen als Gefahrensignal und initiiert die Abwehrreaktion. Das Inflammasom als Komplex aktiviert dann über mehrere Zwischenschritte den Immunfaktor Interleukin-1, der schon in geringen Mengen zu Fieber und anderen entzündlichen Reaktionen führt.

Universeller Sensor

Das Projekt entstand im Rahmen eines internationalen wissenschaftlichen Austauschs zwischen der LMU und der University of Massachusetts Medical School in Worcester, USA, wo die Arbeit auch durchgeführt wurde. „Ich wollte eigentlich nur für drei Monate in die USA gehen“, berichtet Bauernfeind. „Das Projekt entwickelte sich aber so vielversprechend, dass ich für ein Jahr geblieben bin. Schließlich ist uns sogar der Nachweis gelungen, dass Nalp3 ein universeller Sensor von Gefahrsignalen ist. Diese an sich unspezifische Funktion macht das Protein besonders interessant als Zielmolekül für die pharmakologische Forschung. Es ist ein Schlüsselfaktor zahlreicher Entzündungsmechanismen. Und nicht zuletzt gehören die durch Kristalle verursachten chronischen Leiden zu Volkskrankheiten, die immer noch nicht zufriedenstellend behandelt werden können.“

(Universität München, 22.07.2008 – NPO)

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