Physik

Neuer Werkstoff folgt antikem Kachelprinzip

Experiment erzeugt gleichzeitig kristalline und quasikristalline Strukturen

Überlagerung von fünf Laserstrahlen zu einer quasikristallinen Struktur. Bei bestimmten Lichtintensitäten bildet sich ein Muster (rote Linien), das der Archimedischen Kachelung ähnelt. © Universität Stuttgart

Zur großen Überraschung von Physikern ordnen sich winzige Plastikügelchen in einem Lasergitter zu einem Muster, das der schon in der Antike bekannten Archimedischen Kachelung ähnelt. Erstmals vereint diese Struktur damit sowohl kristalline als auch quasikristalline Elemente in einem Stoff, wie die Forscher in „Nature“ berichten. Da sich Quasikristalle und Kristalle in ihrem physikalischen und chemischen Verhalten normalerweise deutlich unterscheiden, könnte die neue Struktur bislang unbekannte Eigenschaften besitzen.

Wer versucht, ein Badezimmer mit fünfeckigen Kacheln zu fliesen, wird die Wand nicht lückenlos bedecken können. Das gelingt nur mit dreieckigen, viereckigen oder sechseckigen Fliesen. Lange schien es, als halte sich auch die Natur an dieses Prinzip. Im Jahr 1984 jedoch berichtete der israelische Physiker Dan Shechtmann erstmals über fünfzählige Kristalle. Die Oberflächen solcher so genannten Quasikristalle lassen sich aus Kacheln unterschiedlicher Form – darunter auch fünfeckigen – zusammensetzen.

Kunststoffkugeln im Lasergitter

Nun haben Physiker der Universität Stuttgart und des Max-Planck-Instituts für Metallforschung Strukturen entdeckt, die kristallin und quasikristallin zugleich sind. Die Forscher erzeugten durch Überlagerung von fünf Laserstrahlen ein Lichtgitter mit quasikristalliner Struktur. In den Mulden dieses Gitters fingen sie eine einzelne Lage drei Mikrometer großer, in Wasser schwebender Kunststoffkügelchen, die sich mit einem Mikroskop direkt beobachten lassen. Bei hohen Intensitäten und entsprechend tiefen Potenzialmulden zwang das Lichtgitter die Kügelchen in eine quasikristalline Ordnung mit fünfeckigen, stern- und rautenförmigen Grundelementen.

Bei niedrigen Intensitäten dagegen spürten die Teilchen, die negativ geladen waren, das Lichtgitter kaum. Unter diesen Bedingungen positionierten sie sich streng periodisch, wobei jedes Teilchen von sechs Nachbarn im gleichen Abstand umgeben ist. Soweit verhielten sich die Mikroteilchen nicht anders, als es die Wissenschaftler erwartet hatten.

Struktur kristallin und quasikristallin zugleich

„Überrascht hat uns dagegen eine neuartige Struktur, die wir bei mittleren Intensitäten beobachtet haben“, sagt Professor Clemens Bechinger, Leiter des 2. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart und Fellow des Max-Planck-Instituts für Metallforschung. Die Kunststoffkügelchen ordneten sich in einer Richtung streng periodisch wie in einem Kristall an. „Senkrecht zu dieser Richtung sind die Teilchen zwar ebenfalls geordnet, aber nicht wie in einem Kristall, sondern wie in einem Quasikristall“, erklärt Doktorand Jules Mikhael.

Offenbar führt der Wettstreit zwischen der Wechselwirkung der Teilchen untereinander und deren Wechselwirkung mit dem Lichtfeld dazu, dass sich eine Struktur formt, die gleichzeitig kristalline als auch quasikristalline Aspekte aufweist. Deutlich zu erkennen sind darin Bänder von Quadraten, die in

nichtperiodischem Rhythmus mal von einer einzelnen und mal von einer doppelten Reihe aus gleichseitigen Dreiecken getrennt werden.

Parallelen zu den „Kacheln des Archimedes“

Diese Struktur ähnelt einer bestimmten Form der archimedischen Kachelung, die bereits von Archimedes erwähnt und im Jahr 1619 von Johannes Kepler vollständig beschrieben wurde. Archimedische Kacheln erfüllen zwei Bedingungen: Alle ihre Kanten sind zum einen gleich lang, egal ob es sich um Fliesen mit drei, vier oder mehr Ecken handelt. Zum anderen muss die lokale

Umgebung jedes Eckpunkts, an dem Kacheln aneinanderstoßen, identisch sein.

Nach diesem Bauprinzip lassen sich elf verschiedene Kachelungen konstruieren, mit denen sich Oberflächen komplett bedecken lassen. In einer davon wechseln sich Reihen aus Quadraten und gleichseitigen Dreiecken ab.

Mischstruktur mit spannenden Eigenschaften

„Das Muster, das wir gefunden haben, ist auf kurzen Abständen mit dieser Kachelung völlig identisch, auf größeren Längenskalen weicht es davon allerdings ab, da sich das streng periodische Archimedische Muster andernfalls nicht mit der quasiperiodischen Struktur des Lichtgitters vertragen würde“, erklärt Bechinger.

Da Kristalle und Quasikristalle völlig unterschiedliche Materialklassen darstellen und deutlich voneinander abweichende physikalische und chemische Eigenschaften besitzen, ist die beobachtete Mischstruktur zunächst erstaunlich. „Die Kombination kristalliner und quasikristalliner Elemente lässt erwarten, dass die von uns beobachtete Mischstruktur interessante neue Materialeigenschaften zeigt“, so der Forscher.

(Universität Stuttgart, 24.07.2008 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Glas - Ein schwer durchschaubarer Stoff

Bücher zum Thema

Singender Schnee und verschwindende Elefanten - von Christopher P. Jargodzki, Franklin Potter

Was macht das Licht, wenn's dunkel ist? - Experten beantworten weltbewegende Fragen von Olivia Meyer

Das Buch der verrückten Experimente - von Reto U. Schneider

Top-Clicks der Woche