Ein internationales Wissenschaftlerteam hat jetzt das Genom des Vielzellers Trichoplax adhaerens entschlüsselt. Trichoplax spielt in der Evolutionsforschung eine wichtige Rolle, die Tiere haben die primitivste Struktur unter den Vielzellern und gelten als Ursprungsorganismen aller höheren Tiere.
Die Forscher der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), der Yale University und des Joint Genome Institute in den USA stellen in der aktuellen Ausgabe von „Nature“ die Einzelheiten der genetischen Ausstattung von Trichoplax adhaerens vor.
Trichoplax adhaerens ist nur wenige Millimeter groß und in allen warmen Meeren zu Hause. Die Tiere besitzen keine Körperachse, also weder Kopf noch Rumpf. In ihrem abgeflachten, scheibenförmigen Körper finden sich auch keine Gewebe oder Organe. Sie bewegen sich amöbenartig über Steine oder Korallen im seichten Wasser fort, dabei verändern sie fortlaufend ihre Form.
Das Genom von Trichoplax adhaerens ist mit nur 97 Millionen Basenpaaren das kleinste, nicht nachträglich vereinfachte, Genom, das bei vielzelligen Tieren bekannt ist. Und es weist zahlreiche Überraschungen auf: Obwohl Trichoplax weder Sinnes- noch Nervenzellen oder sogar Augen besitzt, finden sich im Genom ein ganzes Dutzend Opsingene. Diese Gene spielen eine Rolle bei der Lichtwahrnehmung.
Symmetrie-Gene aber keine Symmetrien
Vorhanden sind nach den Erkenntnissen der Forscher auch eine Vielzahl von so genannten Achsen- und Symmetrie-Genen, die bei höheren Tieren die Kopf-Schwanz- und Bauch-Rücken-Achse festlegen. Das ist aus Sicht der Wissenschaftler ebenfalls bemerkenswert, da Trichoplax weder Symmetrien noch Körperachsen besitzt.
Darüberhinaus konnte auch eine Gruppe von Genen, die so genannten Antennapedia-Gene, die bei höheren Tieren – vom Regenwurm bis Mensch – die Körpergrundgestalt und die Hauptkörperachse festlegen, ebenfalls im Trichoplax-Genom nachgewiesen werden.
„Es wird vermutet, dass eine strukturierte Anordnung der Gene einer Strukturierung des Körpers vorausgegangen ist“, berichtet Professor Bernd Schierwater, Initiator des Genom-Projekts und Leiter des Instituts für Tierökologie und Zellbiologie der TiHo.
Modellorganismus für höhere Tiere
Das Trichoplax-Genom gilt unter Wissenschaftlern als Modellorganismus für höhere Tiere. „Die neuen Erkenntnisse ermöglichen es, die Evolutionswege vielzelliger Tiere zurückzuverfolgen. Zu fast jedem Gen lässt sich im Trichoplax-Genom ein Urahn finden“, so Schierwater. Durch Vergleiche mit dem Trichoplax-Genom könnten Wissenschaftler beispielsweise Rückschlüsse für die Krebsforschung ziehen. So wurden in Trichoplax fast alle Gene nachgewiesen, die auch beim Menschen das Zellwachstum kontrollieren.
An ihnen könnten, so die Forscher, die grundlegenden Mechanismen der Zellteilung und des programmierten Zelltod untersucht werden. Diese Phänomene, die bei einer Krebsentstehung eine wichtige Rolle spielen, lassen sich an Trichoplax besonders gut untersuchen, da der Organismus lediglich fünf verschiedene Zelltypen besitzt.
(idw – Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, 21.08.2008 – DLO)