„Wir müssen uns von dem einfachen alten Modell verabschieden, in dem man sich über große, offensichtlich Verwerfungen wie in Kalifornien Sorgen macht”, so Leonardo Seeber, Koautor der Studie. „Das Problem hier stammt von vielen feinen Störungen, bei denen wir Erdbebenaktivität sehen. Jede von ihnen ist klein, aber wenn man sie addiert, sind sie wahrscheinlich gefährlicher als wir dachten. Wir müssen sie daher im Auge behalten.“
Gefahr durch bisher unentdeckte Verwerfungen
Da die Verwerfungen größtenteils an der Oberfläche unsichtbar sind und sich nur selten bewegen, kann ein starkes Beben nach Ansicht der Forscher sehr leicht von einer bisher nicht identifizierten Störung ausgehen. „Die Wahrscheinlichkeit ist nicht Null und der Schaden könnte gewaltig sein“, so Seeber. „Es hätte Ausmaße wie etwas aus der griechischen Mythologie.“
„Heute, mit so vielen Gebäuden und Menschen, wäre ein unter der Stadt ausgelöstes Erdbeben der Magnitude fünf schon dramatisch“, erklärt der Seismologe John Armbruster. „Wir würden Schäden in Milliarden-Dollar-Höhe sehen und einige Backsteingebäude wären zerstört. Wahrscheinlich gäbe es Tote.“ Eine Untersuchung aus dem Jahr 2001 hatte allein für das Gebiet des nördlichen New Jersey die Schäden eines Bebens der Stärke sieben auf 14.000 komplett zerstörte und 180.000 stark geschädigte Gebäude beziffert.
Atomkraft steht direkt an seismischer Störung
Konkrete Belege für mindestens eine bisher unbekannte Struktur entdeckten die Wissenschaftler ausgerechnet unter dem Standort des Indian Point Atomkraftwerks, dessen Laufzeit jetzt verlängert werden soll. Die Verwerfung verläuft von Stamford in Connecticut aus 40 Kilometer weit unter der Stadt hindurch bis zur Kleinstadt Peekskill im Tal des Hudson. An ihr entlang ereigneten sich in der Vergangenheit zahlreiche kleinere Beben, die Forscher halten es jedoch für möglich, dass die Störung auch ein Beben der Magnitude sechs oder stärker erzeugen kann.
„Indian Point liegt an der Kreuzung von zwei der auffälligsten linearen Strukturen der Seismizität und in der Mitte einer großen Population, die im Falle eines Unfalls in Gefahr wäre“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie. „Aus Sicht des Erdbebenrisikos ist das damit klar einer der am wenigsten günstigen Standorte in unserem Untersuchungsgebiet.“

Registrierte Erdbeben zwischen 1974 und 2007 und bisher unbekannte Kreuzung zweier aktiver seismischer Zonen im Bereich des Atomkraftwerks Indian Point (siehe Pfeile) © The Earth Institute at Columbia University
Harter Felsuntergrund verstärkt Risiko
Das Problem wird verstärkt durch die speziellen Eigenheiten der örtlichen Geologie: Denn im Gegensatz zu Kalifornien treten viele der New Yorker Beben sehr nahe der Oberfläche auf, in den obersten eineinhalb Kilometern. Zudem entstehen sie nicht in weichem, bereits vielfach zerbrochenem Untergrund, der einen Teil der Energie absorbieren könnte, sondern in dem harten, massiven Felsgestein, das Manhattan und einen Großteil des Hudsontals zugrundeliegt.
Dieses Gestein kann die Erdbebenwellen effektiv und schnell über große Distanzen weiterleiten und damit auf großer Fläche Schaden hervorrufen. „Es ist als wenn man einen harten Stein in eine Schraubzwinge einspannt“, erklärt Seeber. „Zuerst passiert eine Weile lang gar nichts. Dann aber bricht er mit einem Knall.“ Dadurch kann selbst eine vergleichsweise kleine Verwerfung von nur zehn oder sogar einem Kilometer Länge bereits ein Beben der Magnitude sechs und höher auslösen.
Verkehrsadern und ältere Gebäude besonders gefährdet
Besonders brisant ist dies auch deshalb, weil die Bauvorschriften in New York erst seit 1995 eine gewisse Erdbebensicherheit fordern – und dies auch nicht in allen Stadtbereichen. Neuere Wolkenkratzer und Brücken würden ein Beben daher wahrscheinlich mit nur geringen Schäden überstehen, nicht aber die unverstärkten drei- bis sechsstöckigen Häuser, die in einigen Vierteln einen Großteil der Bebauung ausmachen. Wie die Wissenschaftler feststellten, verlaufen auch die großen Highways, Schienen-Fernverbindungen und Öl- und Stromleitungen alle quer über aktive Verwerfungen und stehen daher im Falle eines Bebens in akuter Gefahr, unterbrochen zu werden.
Hauptautorin Lynn Sykes fasst die Ergebnisse zusammen: „New York ist zwar nicht so erdbebengefährdet wie Kalifornien oder Japan, aber sie passieren. Diese Studie gibt einen realistischen Eindruck der Wahrscheinlichkeit für ein stärkeres Beben. Um das Risiko bewerten zu können, muss man die Häufigkeit mit den bestehenden Strukturen und deren Anfälligkeit gegenrechnen. Wenn man dies berücksichtigt, ist unser Risiko hoch. Denn die Häufigkeit ist heute genauso wie vor 400 Jahren als Henry Hudson den Fluss hoch segelte. Das Erdbebenrisiko jedoch ist sehr viel höher, denn die Anzahl der Menschen, der Werte und ihre Anfälligkeit ist entsprechend größer.“
(The Earth Institute at Columbia University, 25.08.2008 – NPO)
25. August 2008