Bisher glaubte man, dass der REM-Schlaf, der Traumschlaf, für das Gedächtnis und das „Sortieren“ von Gelerntem besonderes wichtig sei. Doch jetzt haben Forscher dies in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ widerlegt. Wenn sie bei Probanden den REM-Schlaf mithilfe von Medikamenten unterdrückten, störte das deren Gedächtnisleistungen nicht, sondern förderte sie sogar.
Menschen speichern neue Informationen besonders gut im Gedächtnis, wenn sie nach dem Lernen schlafen. Die REM-Schlaf-Gedächtnis-Hypothese besagt, dass der REM-Schlaf, eine durch schnelle Augenbeweungen gekennzeichnete Schlafphase, besonders wichtig für die Gedächtnisbildung ist. Erste Zweifel an der Richtigkeit dieser Hypothese erwuchsen aus Beobachtungen depressiver Patienten. Paradoxerweise treten bei diesen Patienten unter medikamentöser Behandlung üblicherweise keine Gedächtnisdefizite auf, obwohl die meisten Antidepressiva den REM-Schlaf massiv unterdrücken.
Antidepressivum als REM-Schlaf-Blocker
Björn Rasch vom Institut für Molekulare Psychologie der Universität Basel und Professor Jan Born vom Institut für Neuroendokrinologie der Universität zu Lübeck sind diesen Beobachtungen nun in einer experimentellen Studie systematisch nachgegangen. Sie ließen junge gesunde Männer abends Wortpaare lernen und motorische Hand- und Fingerfertigkeiten einüben und verabreichten ihnen nach dem Lernen entweder ein Antidepressivum oder ein nichtwirksames Placebo. Danach durften die Probanden im Schlaflabor schlafen. Zwei Tage später erschienen die Probanden erneut im Labor und wurde getestet, was sie von den gelernten Wortpaaren noch wussten und wie gut sie die geübten Hand- und Fingerfertigkeiten noch konnten.
Keine Störung durch fehlenden Traumschlaf
Wie erwartet, führte die Gabe der Antidepressiva zu einer fast vollständigen Unterdrückung jeglichen REM-Schlafs nach dem Lernen. Zum Erstaunen der Wissenschaftler hatte dieser Mangel an Traumschlaf jedoch keinerlei störenden Effekt auf die Gedächtnisbildung im Schlaf. Im Gegenteil, in einem der motorischen Tests, bei dem die Probanden eine Art Klavierlauf gelernt hatten, waren die Probanden sogar deutlich besser, wenn der REM-Schlaf nach dem Training durch das Antidepressivum unterdrückt worden war.
Bemerkenswerteweise erhöhte die Gabe eines Antidepressivums nach dem Training das Auftreten von so genannten Schlafspindeln, die ein prägnantes und typisches Merkmal für das Schlafstadium 2 (Leichtschlaf) und den Tiefschlaf darstellen. Je stärker die Spindelerhöhung, desto besser schnitten die Probanden in dem motorischen Test ab. Diese Ergebnisse unterstreichen damit die Bedeutung des Non-REM-Schlafs für die Gedächtnisbildung, dessen Einfluss von vielen Schlafforschern bis heute
unterschätzt wurde.
Unterdrückung von REM-Mechanismen nicht vollständig?
Das Forscherteam hat mit diesen Befunden erstmals die REM-Schlaf- Hypothese widerlegen können: REM-Schlaf ist für sich genommen für die Gedächtnisbildung im Schlaf nicht erforderlich. Allerdings könnte es sein, dass einige neurobiologische Prozesse, die normalerweise zusammen mit dem REM-Schlaf auftreten, durch die Gabe von Antidepressiva nicht unterdrückt werden – oder sogar verstärkt werden, und so weiter die Gedächtnisbildung unterstützen. Die Frage nach den zugrundeliegenden Mechanismen der Gedächtnisbildung im Schlaf bleibt daher weiter spannend. Die aktuelle Studie fand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich „Plastizität und Schlaf“ statt.
(Universität Basel, 07.10.2008 – NPO)