Wie reagieren die Tiere und Pflanzen in den Tropen auf eine Erwärmung von 3,2 °C, wie sie der Weltklimarat IPCC für die Region vorhergesagt hat? Eine neue Studie eines internationalen Biologenteams zeigt, dass den Arten dort nur ein einziger Fluchtweg bleibt: den Berg hinauf. Als weitere Konsequenz des prognostizierten Klimawandels werden die Tieflandgebiete artenärmer und regelrecht ausdünnen, so die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“.
Motten – für Gunnar Brehm von der Universität Jena klingt diese umgangssprachliche Bezeichnung für Nachtfalter fast wie ein Schimpfwort. Mehrere Monate hat er sich in den tropischen Regenwäldern Costa Ricas Nacht für Nacht auf die Suche nach den nachtaktiven Schmetterlingen gemacht. Er weiß genau: Sie sind alles andere als Plagegeister im Kleiderschrank, sondern sehr viel artenreicher und oft auch genauso attraktiv wie die bekannteren Tagfalter.
Expedition nach Costa Rica
Allein etwa 14.000 Exemplare einer einzigen Faltergruppe hat der Biologe vom Jenaer Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie während seines Forschungsaufenthaltes in der Biologischen Station La Selva in Costa Rica gefangen. Sie gehören zu insgesamt 739 Spannerarten, deren Name sich von der besonderen Fortbewegungsweise der Raupen ableitet.
Die von dem Jenaer Biologen erhobenen Verbreitungsdaten dieser Schmetterlingsfamilie sind in ein internationales Kooperationsprojekt eingeflossen. „Daten über den Einfluss des Klimawandels auf bestimmte Tier- und Pflanzengruppen stammen bisher fast ausschließlich aus den gemäßigten Breiten“, sagt Brehm. „Für die artenreichen tropischen Regenwälder fehlen Aussagen über mögliche Folgeerscheinungen jedoch bisher weitgehend.“
Verbreitungsdaten von 1.900 Tier- und Pflanzenarten untersucht
Zusammen mit vier Kollegen hat Brehm die Verbreitungsdaten von 1.900 Tier- und Pflanzenarten zusammengetragen – neben Nachtfaltern wurden Ameisen, Rötegewächse und auf Bäumen wachsende Pflanzen, so genannte Epiphyten, untersucht. Mit einem biomathematischen Modell ermittelte das Wissenschaftlerteam, wie sich eine Erwärmung von 3,2 °C, die der Weltklimarat IPCC für die Region in den nächsten 100 Jahren errechnet hat, auf Tier- und Pflanzenarten auswirkt.
„Wir haben unsere Daten entlang eines Höhengradienten vom Tiefland bis in etwa 2.900 Meter Höhe ermittelt“, erläutert Brehm. „Dabei stellte sich heraus, dass die verschiedenen Arten ihren Verbreitungsschwerpunkt in ganz unterschiedlichen Höhen haben. So leben besonders viele Ameisen in einer Höhe von 300 Metern, während die meisten Spannerarten zwischen 1.000 und 2.000 Meter Höhe vorkommen“.
Folglich ergeben sich auch unterschiedliche Reaktionen auf eine Erwärmung des Klimas. Mit zunehmender Erwärmung müssen sich Arten extrem schnell anpassen oder ausweichen. Da in den tropischen Breiten jedoch über hunderte Kilometer fast gleiche Temperaturbedingungen herrschen, kommt für die meisten Arten eine Wanderung nach Norden oder Süden nicht in Frage – anders als etwa in Europa, wo ein stärkeres Temperaturgefälle herrscht. „Der einzige Fluchtweg geht den Berg hinauf – in 100 Jahren müssen theoretisch rund 600 Höhenmeter überwunden werden“, so Brehm.
Verbreitungsgebiet wird kleiner
Etwa die Hälfte der untersuchten Arten kommt zurzeit im Tiefland vor. Viele von ihnen stehen vor großen Problemen, denn zwischen ihrer jetzigen und der prognostizierten Verbreitung klaffen oft erhebliche Lücken. „Das Verbreitungsgebiet der meisten Arten wird in Zukunft deutlich kleiner sein und damit steigt das Risiko des Aussterbens vieler Arten“, nennt Brehm eine unmittelbare Folge. Um dem entgegenzusteuern, sei besonders der Schutz großer Korridore entlang der Bergflanken tropischer Gebirge wichtig, um eine Wanderung von Arten zu ermöglichen.
Grüne, rote und gelbe Exemplare der Spanner in sämtlichen Variationen sind ein Beweis für die ungeheure Vielfalt der Tropen. Rund ein Jahr hat es gedauert, bis Brehm seine gesammelten Nachtfalter präpariert und bestimmt hat, die Daten in eine Datenbank eingegeben und analysiert hat. „Etwa die Hälfte der Arten ist bisher unbekannt. Damit all dieser Reichtum nicht verloren geht, müssen wir dem Klimawandel entgegenwirken“, so der Experte von der Universität Jena. „Sonst wird möglicherweise ein großer Teil biologischer Diversität in wenigen Jahrzehnten verloren gehen.“
(idw – Universität Jena, 10.10.2008 – DLO)