Bei der Suche nach den Ursprüngen des Lebens ist ein amerikanisch-deutsches Forscherteam jetzt einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Die Wissenschaftler haben Hinweise dafür gefunden, dass so genannte Ribozyme, also RNA-Moleküle mit Enzymfunktion, sich von selbst zu größeren Einheiten zusammenlagern. Dies stützt die „RNA-Welt-Hypothese“, wonach die ersten „Lebewesen“ auf der Erde RNA-Moleküle waren, die sich selbst vervielfältigen konnten.
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Die Wissenschaftler beschreiben den neu entdeckten Prozess in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ als „anabolische Autokatalyse“. Der umgekehrte Prozess, die Zerlegung eines größeren in mehrere kleinere Moleküle, die „katabolische Autokatalyse“, war schon früher bekannt.
Komplizierte Gewaltenteilung in der Zelle
Unsere aktuelle Biochemie basiert auf der Gewaltenteilung zwischen DNA als genetischer Legislative, RNA als Judikative, und Proteinen als Exekutive in der Zelle. Doch war dies immer schon so? „Die strukturelle und dynamische Komplexität dieser Gewaltenteilung ist so enorm, dass man annehmen muss, das Leben habe sich aus einer früheren, archaischen Form von Biochemie entwickelt“, erklärt Professor Günter von Kiedrowski von der Ruhr-Universität Bochum (RUB). „Vieles deutet darauf hin, dass unserer heutigen Biochemie eine RNA-Welt vorausging, in der RNA zugleich Legislative und Exekutive war.“
Die Entdeckung von Ribozymen – RNA als Enzym – durch Cech und Altman belegt die Rolle von RNA als Exekutive. Seit der Jahrtausendwende weiß man sogar, dass das Ribosom im Kern seiner Aktivität ein Ribozym ist.
Lücken – bis heute nicht geschlossen
Wenn RNA auch Legislative ist, muss es enzymfreie Wege zur Selbstreplikation von Nucleinsäuren wie RNA geben. Zwar kennt man diese seit 1986 für kurze Nucleinsäurestränge. Aber die aus der chemischen Selbstreplikation von kurzen Sequenzen gezogenen Schlüsse lassen sich nur sehr eingeschränkt auf die Replikation längerer Stränge übertragen.
Der alternative Weg, nämlich durch Evolution im Reagenzglas ein Ribozym zu finden, das als verknüpfende Polymerase wirkt, konnte diese Lücke bis heute ebenfalls noch nicht schließen: Stets war das Ribozym um mindestens eine Größenordnung länger als der Strang, von dem eine Kopie hergestellt werden sollte.
Schablone und Katalysator zugleich
Selbstreplikation lässt sich im Sinne einer „genetischen Autokatalyse“ verstehen: Ein Replikator muss gleichzeitig als informationsgebendes Templat (Schablone) und als Katalysator seiner eigenen Synthese (Autokatalysator) wirken – auf diese Weise kann es bei kurzen Strängen zum autokatalytischen Wachstum kommen.
Das amerikanisch-deutsche Team hat nun Hinweise darauf gefunden, dass bei Ribozymen mit Ligaseaktivität selbstbeschleunigendes Wachstum auch durch anabolische Autokatalyse entstehen kann. Unter anabolischer Autokatalyse verstehen die Forscher die Selbstfabrikation eines größeren Moleküls aus kleineren Untereinheiten.
Zuerst noch Bauchschmerzen …
Für den Nachweis der Selbstfabrikation synthetisierte das Team vier Untereinheiten eines Ribozyms, die sich spontan zu einem nichtkovalenten Komplex zusammenlagern. Dieser „trans Komplex“ entsteht, weil seine Bausteine die Information mitbringen, die für die geordnete Zusammenlagerung per Basenpaarung erforderlich ist. Das Ribozym selbst kann aus diesem Komplex durch kovalente Verknüpfung der Strangenden dieser Bausteine entstehen, hierzu ist allerdings ein Katalysator erforderlich.
Die Wissenschaftler entdeckten, dass das Ribozym als Reaktionsprodukt eine erkennbar bessere katalytische Wirkung entfaltet als der trans-Komplex oder die zwischenzeitlich entstehenden Ribozym-Vorstufen. „Das gesamte Reaktionsnetzwerk ist allerdings sehr komplex, seine dynamische Modellierung und die Anpassung der kinetischen Daten an das Modell ließen sich nur durch Vereinfachungen vornehmen, deren Legitimität mir anfangs Bauchschmerzen bereitet haben“, sagt von Kiedrowski. „Erst durch Zusammenziehung aller Fakten entstand ein konsistentes Bild.“
Wurzeln der Darwin’schen Evolution
Sollte sich anabolische Autokatalyse auch bei anderen Ribozymen finden lassen, so wirft das ein neues Bild auf die Frühphase der Evolution in einer RNA-Welt. Gelingt es nämlich, die chemische Selbstreplikation der Ribozym-Bausteine an die Ribozym-Selbstfabrikation zu koppeln, so wäre ein langgesuchtes Bindeglied gefunden, das zu den Wurzeln einer Evolvierbarkeit im Darwin’schen Sinne führen könnte. Für von Kiedrowski ist das Auffinden dieser Wurzeln die zentrale Herausforderung an die Systemchemie.
(idw – Ruhr-Universität Bochum, 18.11.2008 – DLO)