Donnern Schneebrettlawinen ins Tal, sind Wintersportler und Bergsteiger in Gefahr. Ein internationales Forscherteam hat nun verblüffende neue Erkenntnisse zur Entstehung dieser Lawinen gewonnen. Und der Clou: Die Wissenschaftler konnten klären, wie Skifahrer im Tal viel weiter oben die Lawinen „ins Rollen“ bringen können.
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Dass Skifahrer, die über steile Hänge wedeln, manchmal ausgedehnte Schneeschichten zum Abrutschen bringen, ist nichts Neues. Weniger bekannt dagegen: Ein Skifahrer fährt im flacheren Talgebiet und löst im Hang eine Schneebrettlawine aus, zum Teil mehrere hundert Meter weiter bergauf. Dieses Szenario scheint dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen – dennoch fordert es jährlich Todesopfer.
Fernauslösung von Lawinen
Doch wie geht eine solche Fernauslösung von Lawinen vonstatten? „Bei einer Schneebrettlawine rutscht die obere Schneeschicht ins Tal. Damit das passieren kann, muss sie sich zunächst von der darunterliegenden lösen“, sagt Professor Peter Gumbsch, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg.
Die bisher gängige Anschauung unter Wissenschaftler war, dass sich die Schneeschichten durch Scherrisse voneinander lösen – die obere Schicht verrutscht in einem begrenzten Bereich. Wären die zwei Schneeschichten aufeinandergelegte Handflächen, entspräche ein Scherriss einem Übereinanderreiben.
Voraussetzung dafür, dass die Schneeschichten verrutschen können: Der Hang muss steil genug sein. Mit Scherrissen lässt sich das Abreißen von Schneebrettern im steilen Gelände erklären. Wie aber kommt es zur Fernauslösung?
Neues physikalisches Modell
Gumbsch und seine Kollegen Michael Zaiser und Joachim Heierli an der Universität Edinburgh, Schottland, haben ein physikalisches Modell entwickelt, das dieses Phänomen erklärt. „Die Grenzschicht, die die Schneeschichten verbindet, besteht aus Eiskristallen, zwischen denen sich größere Zwischenräume befinden“, erklärt Heierli. Durch den Druck eines Skifahrers können nun die Eiskristalle brechen, sich von einander lösen und in die Zwischenräume rutschen – die Schicht sackt zusammen. Die daraufliegende Schneeschicht sinkt ebenfalls ab.
Dieser so genannte Volumenkollaps, den man als Anti-Riss beschreiben kann, setzt Energie frei, die bisher nicht berücksichtigt wurde. Diese Energie sorgt dafür, dass der Riss sich ausbreiten kann. Vergleicht man die Schichten mit Handflächen, wäre der Anti-Riss ihr Zusammenpressen.
Nur Reibungskräfte können Lawinen verhindern
Experimente kanadischer Forscher der Universität Calgary bestätigen die Theorie: Egal ob im flachen oder steilen Gelände – es ist gleich schwer, einen Bruch auszulösen. Einmal hervorgerufen, pflanzt sich dieser als Anti-Riss fort. Er kann den Berg hinauf- oder hinunterwandern und innerhalb von Sekunden mehrere hundert Meter groß werden: Die Schneeschichten verlieren ihren Verbund.
Nur Reibungskräfte können dann den Schnee nach Angaben der Wissenschaftler daran hindern, abzugleiten. Wo diese nicht ausreichen, rutscht die obere Schicht ab – eine Schneebrettlawine entsteht.
(idw – Fraunhofer-Gesellschaft, 03.12.2008 – DLO)