Im Nordosten Sibiriens hat vor kurzem ein ebenso ungewöhnliches wie spektakuläres Projekt begonnen: Wissenschaftler des Continental Scientific Drilling Program (ICDP) bohren dort den Lake El’gygytgyn an. Dabei handelt es sich um den einzigen bekannten Meteoritenkrater in vulkanischem Gestein.
Lake El’gygytgyn ist vor circa 3,6 Millionen Jahren entstanden. Mit seiner 300 Meter langen Sedimentabfolge ist er aber auch ein einzigartiges Archiv für die Klima- und Umweltgeschichte der Arktis. Von der Auswertung der Impakt-Bohrkerne erwarteten sich die Forscher deshalb neue Erkenntnisse zu den Veränderungen in der Arktis mit einer bisher nicht erreichten zeitlichen Auflösung sowie zum Verständnis geschockter Vulkanite.
Das neue Projekt ist sehr anspruchsvoll, da der See nur sehr schwer erreichbar ist. „Bis zum nächstgelegenen Flughafen in Pevek am arktischen Eismeer, das neun Zeitzonen von Moskau entfernt ist, sind es etwa 300 Kilometer ohne Straßen oder Wege. Alle Ausrüstungsgegenstände sind mühsam im Überland-Schneefahrzeugkonvoi oder mit dem Helikopter zum El’gygytgyn-See gebracht worden“, berichtet Christian Koeberl vom Department für Lithosphärenforschung der Universität Wien, der die Auswertung der Impakt-Bohrkerne leitet.
Sensibel für Klima und Umwelt
Zusammen mit dem Entdecker des Kraters, Professor E. Gurov, hat Koeberl bereits Studien zum El’gygytgyn-See durchgeführt. Andere Arbeiten belegen, dass dieser sehr sensitiv auf Klima und Umwelt reagiert. Diese Veränderungen sind in den Seesedimenten und im umgebenden Permafrost außerordentlich gut abgebildet. Die mächtige Seesedimentabfolge stellt ein einzigartiges Archiv dar, in dem die spätkänozoische Klima- und Umweltgeschichte der terrestrischen Arktis erstmals lückenlos dokumentiert ist.
Die Ergebnisse aus den Bohrkernen versprechen nach Angaben der Wissenschaftler daher neue Erkenntnisse zu den Veränderungen in der Arktis mit einer bisher nicht erreichten zeitlichen Auflösung. Von besonderem Interesse ist, inwiefern die terrestrische Arktis auf die globalen Klimaveränderungen seit dem Pliozän reagiert und – umgekehrt – diese Veränderungen selbst beeinflusst hat. Die Forschungsergebnisse tragen zu einem besseren Verständnis von Ursache- und Wirkungsbeziehungen für Klimaveränderungen bei und sind daher für Prognosen der zukünftigen Klimaentwicklung von großer Bedeutung.
Erforschung der Bohrkerne an der Universität Wien
An der Universität Wien werden die Impaktgesteine federführend für das gesamte internationale Projekt erforscht. Das Besondere an El’gygytgyn ist, dass der Asteroid ein vulkanisches Gebiet getroffen hat. Es ist der einzige auf der Erde bekannte Impaktkrater in so genannten sauren vulkanischen Gesteinen. Dadurch ist es möglich, zum ersten Mal die Schock-Charakteristika derartiger Gesteine zu untersuchen.
Dass es sich bei El’gygytgyn tatsächlich um einem Impaktkrater handelt, wurde bereits durch das Vorhandensein geschockter Minerale bestätigt. Die Impaktgesteine sind allerdings an der Oberfläche durch Erosion fast völlig zerstört und verschwunden.
„Wir versprechen uns von der Tiefbohrung die einmalige Gelegenheit, die Impaktgesteine ‚in situ‘ zu finden und deren Abfolge untersuchen zu können. Aus diesen Untersuchungen hoffen wir zum einen, eine genaue Studie der geschockten Vulkanite und der Natur des Asteroiden, der den Krater gebildet hat, ableiten zu können. Zum anderen versuchen wir, eine Aussage über die Energieverhältnisse beim Einschlag und dadurch über die Auswirkungen des Einschlages auf die Umwelt zu machen“, beschreibt Koeberl die Ausgangssituation.
Chronologie der bisherigen Forschungsaktivitäten am El’gygytgyn-See
Der momentane Stand der Bohrung ist wie folgt: Im Januar kamen die ersten Techniker und Wissenschaftler am zugefrorenen El ‚gygytgyn-See an. Ende Februar waren alle Bauteile, Container, Geräte und Teile der Bohrplattform am See zusammengebaut. Auf Grund von Schneestürmen hat sich der Bohrbeginn verzögert, aber am 18. März 2009 wurden die ersten Bohrkerne mit Seesedimenten an die Oberfläche gebracht.
Nach Ostern erwarten die Forscher bei 180 Metern unter dem Seeboden Übergänge zu Krater-Füllgesteinen wie beispielsweise Impaktbrekzien und Schmelzgesteine. Am 19. April fliegt Koeberl dann nach Sibirien. Ihn erwarten dort Temperaturen von -30 bis -15 Grad – und (hoffentlich) Bohrkerne.
(idw – Universität Wien, 09.04.2009 – DLO)