Mit Hilfe einer neuen Methode ist es Wissenschaftlern gelungen, Funktionen von Genen erstmals über das gesamte Erbgut eines Organismus gleichzeitig zu untersuchen. Damit wird es in Zukunft möglich sein, den Ursachen von Krankheiten noch systematischer auf den Grund zu gehen, so die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“.
Unsere Gene bestimmen wie wir aussehen, aber auch welche Krankheiten wir bekommen. Seit Beginn dieses Jahrtausends kennen wir jedes einzelne Gen, das im Menschen vorkommt. Doch welche Funktion hat jedes dieser Gene im Organismus? Für den Menschen wird diese Frage noch länger nicht beantwortet werden können – für den Modellorganismus Fruchtfliege hingegen sehr wohl.
In „Nature“ beschreiben der Stammzellforscher Jürgen Knoblich und seine Kollegin Jennifer Mummery-Widmer vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die Funktionen von nicht weniger als 2.600 der etwa 13.000 bekannten Gene im Fliegengenom sowie deren Vernetzungen zueinander.
Erstmals Analyse aller Gene gleichzeitig möglich
Geglückt ist dieser Quantensprung durch eine neuartige Methode, die es ermöglicht, komplexe biologische Vorgänge genomweit, das heißt über alle Gene der Fruchtfliege hinweg gleichzeitig zu analysieren. „Diese genomweiten Analysen läuten eine neue Ära der Biologie ein“, stellt Knoblich fest. „Einzelne Gene isoliert zu betrachten genügt längst nicht mehr. Wichtiger ist, ihre Funktionen in einem systembiologischen Zusammenhang, also ganzheitlich zu betrachten.“
Fliegenhaare als Indikatoren für Krebsentstehung
Kern des Projekts war der so genannte Notch-Delta Signalweg. Diese Signalkette ist beim Menschen essenziell am Tumorwachstum sowie an zahlreichen Erbkrankheiten beteiligt. In der Fliege hingegen kontrolliert derselbe Weg die Anzahl der Rückenhaare. Findet man also veränderte Borsten, weiß man, dass man ein Gen gefunden hat, das diesen Signalweg beeinflusst.
Diese außergewöhnlich umfangreiche Gen-Analyse wurde nur möglich durch die Nutzung der vom Neurobiologen Barry Dickson generierten Fliegenbibliothek des IMP-IMBA. Diese Datenbank enthält 20.000 Fliegenstämme, in denen jeweils genau ein einziges Gen abgeschaltet ist. In einem riesigen Screen untersuchten die Mitarbeiter von Knoblich jeden einzelnen dieser Stämme auf das Borstenwachstum der Fliegen.
Landkarte der Genbeziehungen
Mit Hilfe von weiteren Indikatoren filterten die Forscher aus den riesigen Datenmengen die für den untersuchten Signalweg relevanten Gene heraus. Die netzartigen Beziehungen dieser Gene zueinander wurden auf einer Art Landkarte darstellt.
„Wir werden uns nun einzelne dieser Vernetzungen genauer ansehen. Damit wollen wir klären, welche dieser Gen-Netzwerke für die Tumorentstehung und Stammzellkontrolle beim Menschen relevant sind“, erläutert Knoblich die nächsten Schritte.
Therapien systematischer entwickeln
Mit Blick auf den medizinischen Fortschritt bedeutet das einen Paradigmenwechsel. Früher suchte man bei einem Krankheitsbild nach dem verantwortlichen Gen, also nach der klassischen Nadel im Heuhaufen. Heute sind uns alle Gene prinzipiell bekannt und die Frage ist eine viel systematischere: Was genau bewirken die zu dieser Krankheit gehörigen Gene im Körper? Welche biochemischen Wege und Signalketten werden gestört und wie kann man ansetzen, um diese wieder in Gang zu bringen? Knoblich ist überzeugt: „Genau an diesem Punkt müssen dann Medikamente ansetzen, um die Krankheit in den Griff zu bekommen.“
(idw – IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 14.04.2009 – DLO)