Wer von Licht lebt, wo es wenig davon gibt, braucht eine besondere Antenne. Das grüne Schwefelbakterium Chlorobaculum tepidum, das in tiefen, dunklen Gewässerschichten existiert, besitzt solche „Lichtfallen“. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat jetzt den Bauplan dieser Antennen enthüllt.
Indem die Forscher auf raffinierte Weise verschiedene Experimente und Berechnungen kombinierten, bestimmten sie, wie die lichtempfindlichen Chlorophyll-Moleküle in den Chlorosomen angeordnet sind. Chlorosomen sind die effizientesten Apparate der Natur, um Licht zu sammeln. Ihre Struktur könnte als Blaupause für künstliche Systeme dienen, die Sonnenenergie nach dem Vorbild der Photosynthese in Biosprit umwandeln, so die Wissenschaftler in der Early Edition der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).
Solarkraftwerke zur Lichtabsorption
Eine Fläche Baden-Württembergs würde vermutlich reichen, um im Jahr 2050 Europas Treibstoffbedarf zu decken – wenn sich zehn Prozent der Energie, die als Sonnenlicht auf diese Fläche fällt, in chemische Energie, sprich Biosprit, verwandeln ließe. Um den Durst von Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen dagegen mit Bioethanol oder -diesel zu stillen, wie er derzeit aus Biomasse erzeugt wird, wären die Bundesrepublik und Frankreich zusammen als Anbaufläche wahrscheinlich nicht groß genug.
Doch zehn Prozent des einfallenden Sonnenlichts in einen Treibstoff, sei es Ethanol oder Wasserstoff, zu verwandeln, schafft bislang keine Technik – aber der ein oder andere Mikroorganismus. Zum Beispiel das grüne Schwefelbakterium Chlorobaculum tepidum, das mit seinen Chlorosomen sehr ungewöhnliche und extrem effiziente Solarkraftwerke zur Lichtabsorption besitzt.
Die Natur imitieren
Daher untersucht Alfred R. Holzwarth die Chlorosomen mit seinem Team am Max-Planck-Institut für bioanorganische Chemie schon seit einigen Jahren – mit dem Ziel, die bakteriellen Solarkraftwerke zu kopieren. Diesem Ziel ist er jetzt ein Stück näher gekommen. Ein internationales Forscherteam, an dem neben Holzwarth und Michael Reus vom Mülheimer Max-Planck-Institut auch Wissenschaftler der Universitäten in Leiden und Groningen sowie der Penn State University in Philadelphia beteiligt waren, hat jetzt nämlich herausgefunden, wie die Chlorosomen gebaut sind.
Demnach stapelt sich das Chlorophyll in den Chlorosomen zu Helices. „Bislang wurden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie die einzelnen Chlorophyll-Komplexe nebeneinander angeordnet sind“, sagt Holzwarth: „Diese Frage haben wir jetzt geklärt.“ Und nicht nur diese: Auch von der Anordnung der Chlorophyll-Stapel gab es keine klare Vorstellungen. Die meisten Forscher, die in den bakteriellen Solarkraftwerken Anregungen für die Biosprit-Produktion von morgen suchen, favorisierten Schichten.
Chlorophyll-Helices bilden eine Röhre
Eine falsche Vorstellung, wie das Forscherteam jetzt festgestellt hat: „Die einfachen Chlorophyll-Helices sind wiederum zu einer Helix aufgewickelt und bilden so eine Röhre“, erklärt Holzwarth. Und auch die einzelnen Röhren müssen sich noch einmal einer Ordnung unterwerfen: Mehrere Röhren mit unterschiedlichem Durchmesser stecken nämlich wie in einem Teleskopstab ineinander.
„Anders als in höheren Pflanzen entsteht diese komplexe hierarchische Struktur völlig selbstorganisiert“, sagt Holzwarth. In höheren Pflanzen greifen Proteine vermittelnd ein: sie umschließen das Chlorophyll und zwingen es auf diese Weise in eine Struktur. „Da die Chlorosomen nur Chlorophyll enthalten, bieten sie sich als Vorbilder für selbstorganisierende technische Lichtantennen an“, so Holzwarth. Die Proteine in den Chloroplasten höherer Pflanzen lassen sich nämlich höchstens mit großem Aufwand imitieren.
Umweg führt zum Ziel
Wie es in den Lichtantennen von C. tepidum aussieht, haben die Forscher nur auf einem Umweg und mit einer neuen Methode herausgefunden. Bei den Chlorosomen versagt nämlich die Röntgenkristallografie – das gängige Verfahren, um die Struktur von Eiweißen und anderen Biomolekülen zu bestimmen: Die einzelnen Chlorosomen selbst eines einzigen Bakteriums unterscheiden sich in ihrer Größe und gruppieren sich daher nicht zu regelmäßigen Kristallen. Das aber ist eine Voraussetzung, um sich mithilfe der Röntgenkristallografie ein Bild von einer Substanz zu verschaffen.
Um trotzdem einen detaillierten Bauplan der Chlorosomen zeichnen zu können, haben die Forscher der Universität Leiden mit der Festkröper-Kernspin-Spektroskopie die Beziehungen untersucht, die benachbarte Chlorophyll-Komplexe unterhalten. Ihre Kollegen von der Universität Groningen haben die Chlorosomen zudem bei tiefen Temperaturen mit einem Elektronen-Mikroskop durchleuchtet und erhielten so ein Bild von der gröberen Struktur. In Rechnungen hat das Forscherteam diese Teilansichten dann zu einem Gesamtbild der exakten molekularen Anordnung kombiniert.
Chlorosomen mit mehreren Chlorophyll-Arten
Doch dieses Bild blieb zunächst unscharf, weil die Chlorosomen im Wildtyp, der natürlichen Form von C. tepidum, mehrere Chlorophyll-Arten enthalten. Die Varianten unterscheiden sich in ihren chemischen Anhängseln. Kleine Unterschiede, die aber das Bild verwischen. „Daher haben unsere Kollegen von der Penn State University eine Mutante des Bakteriums erzeugt, die nur eine Sorte des Chlorophylls produziert“, sagt Holzwarth: Die vereinfachten Chlorosomen der Mutanten lieferten dem Team nun scharfe Messungen und eine detaillierte Struktur, die die Forscher mit dem vagen Bild der Chlorosomen im Wildtyp verglichen.
Bei dem Vergleich fanden sie Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede: Sowohl die Chlorosomen der Mutante als auch des Wildtyps sind aus konzentrischen Röhren aufgebaut. Die Röhren der Mutante sind aber anders gewickelt: Während sich die Chlorophyll-Helices im Wildtyp wie die Fäden eines Seils parallel zur Achse der Röhre winden, bilden sie in der Mutante gestapelte Ringe. „Wir waren ziemlich überrascht, dass ein so kleiner Unterschied in der chemischen Zusammensetzung so große Auswirkungen auf die Struktur hat“, sagt Holzwarth.
Blick in die Evolutionsgeschichte des Bakteriums gelungen
Der Vergleich zwischen Wildtyp und Mutante ermöglichte den Forschern nicht nur, den Chlorosomen-Bauplan von Chlorobaculum tepidum zu lesen, er gewährte ihnen auch einen Blick in die Evolutionsgeschichte des Bakteriums. Dass der Einzeller in seinen Lichtantennen verschiedene Chlorophyll-Varianten stapelt, stellt nämlich einen relativ jungen Schritt der Evolution dar. Der erschwert den Forschern zwar, seinen Aufbau zu enthüllen, verbreitert aber das Spektrum des Sonnenlichts, das die Lichtantennen einfangen können, und erhöht so deren Effizienz.
Ehe Holzwarth und seine Mitarbeiter sich in einem derartigen Feinschliff versuchen, mit dem die Evolution die Effizienz der Lichtantennen getrimmt hat, müssen sie erst noch einige prinzipielle Probleme lösen. „Wir wollen jetzt mehr darüber herausfinden, wie die Lichtabsorption in den Chlorosomen funktioniert“, sagt Holzwarth. Nur dann verspricht die Suche nach künstlichen Antennen mit ähnlicher Effizienz Erfolg.
Doch auch das markiert nur die Hälfte der Strecke, bis sich die Energie der Sonne effizient in Biosprit binden lässt, wie der Wissenschaftler erklärt: „Wir müssen die Antennen an ein einfaches System koppeln, das die eingefangene Lichtenergie in chemische Energie verwandelt, das also wie die Photosynthese aus Kohlendioxid Zucker aufbaut oder aus Wasser Wasserstoff abspaltet.“
(MPG, 15.05.2009 – DLO)