Vor 53 Millionen Jahren herrschte in der Arktis ein feuchtwarmes Klima. Trotzdem wurde es im Polarwinter sechs Monate lang Nacht. Wie kamen die damaligen Sumpfbewohner mit dieser Dunkelheit klar? Hielten sie Winterschlaf? Zogen sie für ein halbes Jahr nach Süden? Weder noch, wie jetzt ein Team von Paläontologen anhand von Fossilien herausfand und in der Fachzeitschrift „Geology“ berichtet.
Während des frühen Eozäns, vor 50 bis 55 Millionen Jahren, war die heute lebensfeindliche und kalte Arktis eine üppige, warme Sumpflandschaft. Wie Fossilfunde bereits seit 1975 immer wieder zeigen, lebten auf Ellesmere Island, einer Insel zwischen Grönland und der kanadischen Arktis, Alligatoren, Wasserschildkröten, Schlangen und sogar fliegende Lemuren – eine der frühesten Formen der Primaten. Bisher war allerdings nicht klar, wie diese Tiere, darunter auch zahlreiche große Säugetiere, mit dem dunklen Winter dieser Region klarkamen. Denn trotz milder Temperaturen verschwand auch damals schon die Sonne sechs Monate unter dem Horizont.
Rätsel der Überwinterung im Dauerdunkel
Wie reagierten die Tiere darauf? Denn ihre Sommerdiät aus blühenden Pflanzen, Laubblättern und Wasserpflanzen war im Dunkel nicht mehr verfügbar: Die Bäume warfen ihre Blätter ab und die Blüten verschwanden. Viele Forscher vermuteten bislang, die Tiere könnten entweder in ein weiter südlich gelegenes Winterquartier ausgewandert oder aber in Winterschlaf gefallen sein. Doch Paläontologen um Jaelyn Eberle, Professor für Geologie an der Universität von Boulder in Colorado, haben nun anhand fossiler Zähne das Geheimnis der Überwinterer gelüftet.
Zahnschmelz verrät Speiseplan
Die Wissenschaftler analysierten Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope dreier fossiler Zähne – von einem halbaquatischen, nilpferdähnlichen Tier namens Coryphodon, von einem kleineren Vorfahren der heutigen Tapire sowie von einem dritten, ebenfalls nilpferdähnlichen Tier namens Brontotherus. Anhand der in die einzelnen Schichten des Schmelzes eingebauten Isotope konnten Eberle und seine Kollegen auf die Art der Pflanzennahrung dieser Tiere schließen.
„Wir konnten die im Zahnschmelz konservierte Kohlenstoffsignatur nutzen um zu belegen, dass diese Tiere weder auswanderten noch Winterschlaf hielten“, erklärt Eberle. „Stattdessen lebten sie das ganze Jahr über in der hohen Arktis und kauten im Dunkeln auf einigen ungewöhnlichen Dingen herum.“ Sie ernährten sich offenbar von Zweigen, Laubstreu, immergrünen Nadeln und Pilzen – lauter Dingen, die im Sommer nicht auf ihrem Speiseplan standen.
Voraussetzung für Landbrücken-Ausbreitung
Die ganzjährige Anwesenheit von Säugetieren wie dem nilpferdähnlichen Coryphodon, Tapiren und Brontotheren in der Arktis war nach Ansicht der Forscher eine Voraussetzung für ihre spätere Ausbreitung über die Landbrücken der hohen Breiten, die Asien und Europa mit Nordamerika verbanden. „Damit Säugetiere die gewaltigen Entfernungen über die Kontinent verbindenden Landbrücken zurücklegen konnten, mussten sie die Fähigkeit besitzen, das gesamte Jahr in der hohen Arktis in der Nähe dieser Landbrücken zu leben“, so Eberle.
Die chemischen Nahrungssignaturen, der gedrungene Körperbau und die fossilen Hinweise auf Junge und Jugendliche sprechen zudem gegen lange saisonale Migrationen. Stattdessen breiteten sich die Tiere im Laufe von Millionen von Jahren allmählich immer weiter nach Süden aus, als sich das Klima langsam zu ändern begann. „Diese Studie könnte die biologischen Hintergründe dafür liefern, wie die Ahnen der heutigen Pferde und Rinder und die echten Primaten Nordamerika erreichten“, erklärt der Forscher. „Möglicherweise müssen wir die Welt des frühen Eozäns überdenken, vielleicht sind einige prähistorische Säugetiere damals sogar in der hohen Arktis entstanden.“
Die neuen Daten verraten auch einiges über die möglichen Auswirkungen des Klimawandels der heutigen Zeit. Denn mit steigenden Temperaturen werden immer mehr Tiere weiter nordwärts wandern, um der Erwärmung auszuweichen. Auch sie werden dann in Bereiche vorstoßen, in denen dann zwar noch milde Temperaturen herrschen, es aber im Winter lange dunkel bleibt.
(University of Colorado at Boulder, 02.06.2009 – NPO)