Um die Frage der Mensch-Tier-Grenze geht es auch dem Entwicklungsbiologen Stuart Newman 1998 bei seinem Patentantrag, den er gemeinsam mit dem bekannten Bioethiker Jeremy Rifkin ausgeheckt hat. Denn im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat der Forscher keineswegs vor, wirklich eine Mensch-Tier-Chimäre zu erzeugen. Ganz im Gegenteil, wie er zugibt.
„Das Ziel war es, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, zu was die Technologie fähig ist“, erklärt Newman einige Jahre später in einem Interview mit dem amerikanischen Sender PBS. „Ich wollte zeigen, dass es wegen der biologischen Kontinuität zwischen den verschiedenen Arten von Lebewesen kein Hindernis gibt, etwas zu erzeugen, was auf halbem Wege oder zum Teil zwischen verschiedenen Arten steht.“
„Cowboys“ machen Clinton Angst
Wie weit die biotechnologische Forschung schon ist, zeigt sich noch im Jahr des Patentantrags: Wissenschaftlern in Massachusetts gelingt es 1998 erstmals, menschliche Zellkerne mit entkernten Eizellen von Kühen zu verschmelzen. Die resultierenden Embryonen, von Kritikern „Cowboys“ getauft, enthalten Zellen mit menschlicher DNA im Kern, aber Kuh-Erbgut in den Mitochondrien. Die Misch-Embryonen überleben allerdings nur wenige Stunden und waren ohnehin nie dafür gedacht, zu einem kompletten Wesen herangezogen zu werden.
Als der damalige amerikanische Präsident Bill Clinton von der ersten gelungenen Herstellung solcher Kuh-Eizellen-Embryonen erfährt, schreibt er einen besorgten Brief an die Nationale Bioethik-Kommission: „Der Bericht der Erzeugung einer embryonalen Stammzelle, die teils Mensch, teils Kuh ist, weckt die ernstesten ethischen, medizinischen und rechtlichen Bedenken. Ich bin zutiefst beunruhigt…“
Die Sache mit dem Blockade-Patent
Eine Produktion weiterer solcher und ähnlicher Mischwesen zu verhindern, dass will Newman mit seinem Patentantrag erreichen – und die Chancen dafür stehen theoretisch nicht schlecht: Wird das Patent anerkannt, kann er als Lizenzbesitzer 20 Jahre lang die Vorstöße anderer Wissenschaftler blockieren, schlimmstenfalls sie der Patentverletzung anklagen. Wird das Patent abgelehnt, ist zumindest der Weg zu einer Kommerzialisierung von Organismen mit menschlichen Bestandteilen auch für andere erst einmal blockiert. Doch das Verfahren zieht sich hin. Immer wieder versucht die Patentbehörde, den Antrag mit verschiedensten Begründungen abzulehnen, immer wieder legt Newman nach mit neuen Begründungen, neuen Ausführungen.
2005 fällt endlich die Entscheidung – gegen das Patent. Hauptbegründung: Newman gibt den „menschlichen“ Anteil seiner geplanten Chimären nicht genauer an oder limitiert ihn. Deshalb könnte das resultierende Wesen in einen Bereich kommen, in dem möglicherweise Persönlichkeitsrechte verletzt werden würden, alternativ auch das Gesetz gegen die Sklaverei oder das Recht auf private Entfaltung der Persönlichkeit. In erster Linie enthüllen die Begründungen und Kommentare aber sehr deutlich, wie sehr die Gesetzgeber hinter den aktuellen Entwicklungen der Biotechnologie hinterher hinken.
(K)eine Frage der Prozentwerte
„Ich glaube nicht, dass irgendjemand fähig ist, in Form von kruden Prozentwerten zwischen Menschen und Nichtmenschen zu unterscheiden“, erklärt John Doll, Angestellter der US-Patentbehörde. Und auch Newman kommentiert: „Die Frage kommt: Wenn wir es nur zehn Prozent menschlich machen, ist es dann vielleicht nicht menschlich genug, um patentiert werden zu können? Oder wenn es zu fünf Prozent human ist?“
Auch die National Academy of Sciences in Washington drückt sich um diese Frage herum, als sie 2005 die ersten – unverbindlichen – Richtlinien für die Chimärenforschung veröffentlicht. Nach diesen sind in den USA solche Experimente grundsätzlich erlaubt, vorausgesetzt, sie wurden zuvor von speziellen „Review“-Komitees geprüft und abgesegnet.
In Deutschland dagegen ist zumindest die Manipulation von Embryonen, beispielsweise ihre Verschmelzung oder anderweitige Nutzung nach wie vor durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Auch das Klonen, eine oft für die Chimärenbildung eingesetzte Technologie ist untersagt. Bei ihr bringen Forscher beispielsweise den Zellkern eines erwachsenen Menschen in eine Eizellhülle ein und erzeugen so einen Embryo, der eine genetisch identische Kopie des Zellkernspenders ist. Dem Gesetz nach drohen Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren für solche Manipulationen – noch.
Nadja Podbregar
Stand: 18.06.2010