Neue Kandidaten für ein Altersgen tauchten 1994 nicht in Japan auf, sondern am anderen Ende der Welt, in Frankreich. Hier untersuchten Forscher des Centre d’Etude du Polymorphisme Humain in Paris ebenfalls Hundertjährige und deren Geschwister auf genetische Faktoren, die sie von „Normalsterblichen“ unterschieden. Dabei konzentrierten sie sich auf drei spezielle Gene.
Blutdruck- und Cholesterin-Gene im Visier
Das erste Kandidatengen kodiert das Angiotensin-konvertierende Enzym (ACE), ein Protein, das gefäßverengend wirkt und so dafür sorgt, dass der Blutdruck aufrechterhalten wird – oder aber auch zu hoch steigt. Gerade bei alten Menschen werden daher heute häufig ACE-Hemmer eingesetzt, um krankhaft verengte Arterien zu erweitern und das Risiko für Schlaganfälle oder Infarkte zu senken. Was wäre, so die Hypothese von Francois Schächter und seinen Kollegen, wenn Langlebige eine Genvariante tragen, die dieses Gen – und damit auch das gefäßverengende Enzym – von Natur aus weniger aktiv macht?
Aber es gab noch zwei weitere Kandidaten: die Gene für die Apolipoproteine B und E (APOB und APOE). Beide Proteine spielen eine wichtige Rolle im Blutfett-Stoffwechsel. Sie sorgen dafür, dass schädliches Cholesterin aus dem Blut entfernt und umgewandelt wird. In bestimmten Familien existieren vererbte Mutationen im APOE-Gen, die zu einem krankhaft erhöhten Cholesterinspiegel und Arteriosklerose führen. Außerdem fördert eine weitere APOE-Variante vermutlich das frühe Einsetzen von Alzheimer. Da die meisten Hundertjährigen erstaunlich „junge“ Adern und nur selten Blutdruckprobleme haben, lag es für die Forscher nah, auch an diesem Genort nach spezifischen Varianten zu suchen.
Ein scheinbar paradoxes Ergebnis
Aus Zellen von 300 Hundertjährigen beiderlei Geschlechts und einer Kontrollgruppe von 160 Personen im Alter von 20 bis 70 Jahren isolierten und Schächter und seine Kollegen gezielt genau diese Gene und vermehrten sie anschließend im Labor. Die Forscher analysierten, welche Gentypen vorkamen und errechneten statistische Abweichungen. Das Ergebnis war auf den ersten Blick eindeutig: Sowohl bei APOE als auch bei ACE gab es Unterschiede zwischen den Hundertjährigen und der Kontrollgruppe. Diese allerdings entpuppten sich als ziemlich erstaunlich.
In Bezug auf das APOE-Gen zeigte sich eine deutliche Reduktion des E4-Typs. Das passte gut, denn dieser erhöht das Risiko für Alzheimer und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im Gegenzug aber trugen die Hundertjährigen häufiger eine Kopie des E2-Typs, der in seiner Reinform aber als Auslöser für krankhaft erhöhte Blutfettwerte gilt. Und auch beim ACE-Gen widersprachen die Daten den Erwartungen diametral: Viele der Hundertjährigen trugen hier ausgerechnet die Genvariante, die das Risiko für einen frühen Herzinfarkt erhöht.
Komplexer als gedacht
Die Wissenschaftler um Schächter tippten auf eine Art Ausgleich: Möglicherweise waren die Genvarianten zwar in jüngeren Jahren ein Nachteil, hatte man aber diese Phase überwunden, überwog die positive Wirkung. Inzwischen haben auch andere Forschergruppen den Zusammenhang von APOE mit langer Lebensdauer bestätigt. Eines allerdings wurde immer klarer: Die Idee, DAS Langlebigkeitsgen zu finden, muss wohl begraben werden. Ganz offenbar ist ein hohes Alter das Ergebnis eines sehr viel komplexeren Zusammenspiels von genetischen und Umweltfaktoren, als gehofft.
Nadja Podbregar
Stand: 16.04.2010