Auch wenn manch einer von der Entmystifizierung des Bermuda-Dreiecks enttäuscht sein mag – die Meeresregion im West-Atlantik zwischen der Ostküste der USA und den Bermuda-Inseln birgt auch „echte“ Geheimnisse, die Wissenschaftler erst nach und nach erklären können.
Einziges Meer ohne Küste
Das Bermuda-Dreieck liegt in einer Region, die für die Weltmeere einmalig ist. Sargasso-See heißt das Gebiet zwischen 40. und 70. Längen- und 25. und 35. Breitengrad, mit einer Fläche von rund 3,5 Millionen Quadratkilometern – fast so groß wie Australien. In bis zu 7.000 Metern Tiefe liegt hier der Ozeanboden. Dieser Meeresabschnitt ist der einzige weltweit, der als eigenständiges Meer bezeichnet wird, aber an keine einzige Küstenregion angrenzt.
Umgeben ist die Sargasso-See von nordatlantischen Meeresströmungen, die das Gebiet abgrenzen und zu besonders ruhigen Gewässern machen – das Auge im Sturm sozusagen. Kanarenstrom, Nordatlantikstrom, Golfstrom und der äquatoriale Nordatlantikstrom kreisen im Uhrzeigersinn um die Sargasso-See und sorgen hier für ganz besondere ozeanische Bedingungen.
Besonders warm, doch nährstoffarm
Das ozeanische Strömungssystem transportiert permanent warmes Wasser in die Sargasso-See, die äquatorialen Winde sorgen zudem stets für warmes, ruhiges Wetter. Die verhältnismäßig hohen Temperaturen an der Wasseroberfläche lassen viel Wasser verdunsten. Und weil es in diesem Gebiet auch kaum Niederschläge gibt und zudem kein Frischwasser aus anderen Teilen des Atlantiks zugeführt wird, ist der Salzgehalt der Sargasso-See sehr hoch, das Meer selbst ausgesprochen nährstoffarm.
Gerade deshalb wachsen hier aber ganze Wälder von Braunalgen der Gattung Sargassum, die in langen „Fladen“ an der Oberfläche schwimmen und deren einzelne Stängel und Triebe bis zu zwei Metern lang werden können. Benannt wurde die Algenart von portugiesischen Seefahrern im Gefolge von Christoph Columbus, die in den blasenartigen Verdickungen der Algen Ähnlichkeiten zu einer Weintraubenart namens „Salgazo“ sahen.
Diese Algenwälder bieten vor allem kleinsten Meeresbewohnern Lebensraum – rund ein Drittel des atlantischen Planktons lebt in der Sargasso-See. Im Rahmen einer weltweiten Bestandsaufnahme der ozeanischen Lebensformen haben Meeresbiologen hier in den letzten Jahren eine erstaunliche Vielfalt an Leben entdeckt.
Zensus für Meeresbewohner
Im Jahr 2000 begann die größte „Volkszählung“ für Lebewesen in den Weltmeeren, der „Census of Marine Life“ (CoML), ein Gemeinschaftsprojekt von über 2.000 Forschern aus 80 Ländern. Zu Beginn des Projekts, so schätzt man, waren rund 230.000 Arten von Meeresbewohnern bekannt. Etwa 5.600 neue Spezies sind seitdem hinzugekommen. Die tatsächliche Anzahl aller Arten könnte noch viel höher liegen, schätzen die Forscher.
Denn der größte Teil der Weltmeere, die Tiefsee, bei einer Wassertiefe von unter 1.000 Metern, ist noch völlig unbekannt. Mehr als eine Million Arten könnten die ozeanischen Ökosysteme enthalten, vier mal so viel wie bisher bekannt, wenn man alle Tiere und Einzeller hinzurechnet. Zum Vergleich: In den terrestrischen Gebieten der Erde haben Biologen bisher 1,5 Millionen Arten beschrieben – an Pflanzen und Tieren.
Auf Artenfang in der Sargasso-See
Ein Teilprojekt der ozeanischen „Volkszählung“ wendet sich insbesondere dem Leben in der Sargasso-See zu, der „Census of Marine Zooplankton“ (CMarZ). Dabei soll untersucht werden, welche Arten das hier zahlreich vorhandene Plankton bilden, das aus frei im Meer herum schwimmenden Organismen besteht. Insgesamt sind derzeit rund 6.800 verschiedene
Arten von Plankton-Organismen bekannt.
Eine Expedition mit dem Forschungsschiff „Ronald H. Brown“ hat sich vor drei Jahren der unbekannten Tiefen in der Sargasso-See angenommen, weil man hier besonders viele unbekannte Arten vermutet. Mit Schleppnetzen und Tauchern haben die Forscher mehrere tausend Proben gesammelt, um die Arten des Sargasso-Planktons genauer unter die Lupe zu nehmen. Über 500 Arten wurden dabei katalogisiert, von 220 das Erbgut analysiert. Zehn bis 20 Arten zuvor nie beschriebene Arten haben die Forscher dabei entdeckt – für eine 20-tägige Forschungsreise wie diese eine enorme Auslese.
Bis heute laufen beim Zooplankton-Projekt der ozeanischen „Volkszählung“ aus allen Gegenden der Welt Meldungen über neue Arten auf und werden akribisch sortiert und katalogisiert. Bis zum Jahr 2010, wenn der gesamte Zensus vorerst abgeschlossen wird, wollen die Plankton-Experten bis zu 1.600 neue Arten winziger Krebse, Mantel- oder Rädertierchen, Würmer und Schwimmschnecken entdeckt haben.
Stand: 26.06.2009