Die Angst vor einer neuen Influenza-Pandemie sitzt tief – und sie ist nicht unberechtigt. Die Influenza A/H1N1 breitet sich nicht nur immer weiter aus, sie trägt auch einen berüchtigten Namen. Denn schon einmal brachte ein H1N1-Virus Millionen Menschen den Tod: 1918, als Spanische Grippe. Wie man heute weiß, war es tatsächlich ein entfernter Vorfahre des heutigen Erregers, der die Pandemie auslöste.
Lange Zeit war der Ursprung der Spanischen Grippe unklar. Anfangs fehlen die wissenschaftlich-technischen Mittel, um eine umfassende Genanalyse durchzuführen. Später dann mangelt es an Proben für solche Untersuchungen. 1951 macht der Pathologe Johan Hultin einen Versuch, das Virus aus den Geweben von Toten zu isolieren. Er exhumiert dafür Grippeopfer aus einem Massengrab in Alaska in der Hoffnung, die Kälte habe das Material ausreichend konserviert. Doch er hat kein Glück. Das Virus entziehtt sich weiter der Analyse.
1997 startet dann Hultin einen zweiten Versuch – diesmal mit mehr Erfolg. Im Lungengewebe von vier Grippetoten finden sich Bruchstücke des Erregers. Gleichzeitig gelingt es auch einer Forschergruppe der U.S. Army unter Leitung von Jefferey Traubenberger, das Virus aus Gewebeproben von Soldaten des ersten Weltkriegs zu isolieren. Aus den Bruchstücken gilt es nun, die komplette Gensequenz der Spanischen Grippe zu ermitteln.
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Sprung zum Menschen ohne Reassortment
Im Oktober 2005 schließlich ist es soweit. Taubenberger und seine Kollegen haben den „Killer“ von 1918 unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in einem Speziallabor der Center for Disease Control (CDC) rekonstruiert. Mit überraschendem Ergebnis: Das Virus ist offenbar ohne Genaustausch mit menschlichen oder anderen tierpathogenen Grippeviren direkt vom Vogel auf den Menschen übergesprungen.
Wie die Forscher in „Nature“ berichten, hat der Erreger innerhalb von wenigen Mutationen diese Fähigkeit erlangt, ohne Reassortment, wie sonst häufig der Fall. Das zeigt sich an einem für das Auslesen der Gene entscheidenden Enzym, der RNA-Polymerase. Erst kurz vor Beginn der Pandemie ist hier die entscheidende Anpassung an den Menschen erfolgt.
H5N1: ein weiteres Vogelvirus auf Pandemiekurs?
Die Nachricht sorgt für Aufsehen und Besorgnis, denn zu dieser Zeit kursiert bereits ein weiteres Vogelvirus mit hoher Todesrate: H5N1. Von Asien aus breitet sich die Geflügelpest rasant weiter nach Westen aus. Zuvor eine harmlose Tierinfektion, hat sich das Virus seit 1997 genetisch verändert, ist pathogener geworden. Statt nur leichten Symptomen verenden tausende von Enten, Hühnern und Gänsen.
2004 dann eine weitere Genänderung: Eine Mutation im Hämagglutinin-Gen ermöglicht es dem Vogelvirus nun, auch Menschen zu befallen. Eine weitere Mutation im Polymerase-Gen erleichtert ihm zudem die Vermehrung im menschlichen Organismus. Eine ähnliche Genveränderung hatte auch dem tödlichen Virus von 1918 zum Sprung auf den Menschen verholfen. H5N1 ist nun keine reine Vogelseuche mehr. Zunächst in China, später dann allmählich auch in anderen Ländern, erkranken und sterben hunderte von Menschen.
„Zytokinsturm“ wie 1918
Und noch eine Genstruktur erweist sich als fatal: Am Ende des so genannten NS1-Gens identifizieren Forscher um Clayton Naeve vom St. Jude Children’s Hospital in Memphis einen Abschnitt, der bei H5N1 so modifiziert ist, dass er eine Überreaktion des menschlichen Immunsystems bewirkt. Diese schüttet Unmengen an Entzündungsbotenstoffen wie Zytokinen aus und kann letztlich zum Organversagen führen.
Ein solcher „Zytokinsturm“ spielte vermutlich auch bei der Spanischen Grippe eine wichtige Rolle. Denn während bei der normalen saisonalen Influenza vor allem Kleinkinder und alte Menschen gefährdet sind, starben 1918 ungewöhnlich viele junge Erwachsene. Menschen über 65 Jahren blieben dagegen meist verschont. Dieses Verteilungsmuster sorgte zunächst für Verwirrung, eine Immunisierung der Älteren durch eine vorhergehende Pandemie des Jahres 1889 wurde zunächst postuliert. Doch inzwischen neigen immer mehr Forscher dazu, eine überschießende Reaktion des gerade bei Jüngeren sehr aktiven Immunsystems als Ursache zu sehen.
Nur noch zwei Mutationen?
Noch allerdings hat das H5N1-Virus es offensichtlich nicht geschafft, sich so effektiv an unseren Organismus anzupassen, dass die Übertragung auch von Mensch zu Mensch reibungslos funktioniert. Noch. Denn ein Forscherteam um James Stevens vom Scripps Research Institute hat nun eine Studie veröffentlicht, nach der sich die Influenza A/H5N1 Viren inzwischen deutlich weiter entwickelt haben. Im Vergleich zu den 1997 isolierten Stämmen hätten sich die Oberflächeneiweiße stärker dem Muster des Erregers der Spanischen Grippe angenähert, dem H1N1. Möglicherweise, so die Wissenschaftler, reichen inzwischen nur zwei weitere Mutationen, um auch die Übertragbarkeit innerhalb der menschlichen Bevölkerung zu ermöglichen.
Der Supergau: Kombination von H5N1 nd H1N1
Und in diesem Spiel könnte auch das zurzeit grassierende H1N1-Schweinevirus eine unrühmliche Rolle einnehmen. Denn eine der größten Befürchtungen von Seuchenexperten weltweit ist es, dass sich beide Pandemiekandidaten treffen – und rekombinieren. Wenn sich die neue Schweinegrippe beispielsweise in China oder anderen Ländern mit engem Tier-Mensch-Kontakt begegnen, ist die Chance groß, dass auch Mehrfachinfektionen mit beiden Viren auftreten.
Das Ergebnis könnte dann im schlimmsten Falle die leichte Übertragbarkeit des H1N1-Erregers mit der hohen Todesrate und dem schweren Krankheitsverlauf des H5N1 kombinieren. Eine Pandemie dieses Virus wäre kaum aufzuhalten und könnte Millionen Todesopfer fordern.
Stand: 29.05.2009