Wie abhängig ist Deutschland von russischen Öl- und Gaslieferungen ? Die Debatte darum wird durch den Gasstreit im Januar 2009 erneut aufgeheizt. Doch Experten halten Befürchtungen, dass Russland in Zukunft nach Belieben über die Lieferungen nach Europa und damit nach Deutschland entscheiden werde, für völlig überzogen. Wurden unnötig Ängste geschürt?
Auch Russland ist abhängig
Roland Götz, langjähriger Leiter der Forschungsgruppe Russland/GUS bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält die öffentliche Darstellung, Russland wolle durch ein „Abdrehen des Gashahns“ eine politisch motivierte Erpressung ausüben, schlichtweg für falsch. Diese Argumentation verkenne, so Götz in der Zeitschrift „Osteuropa“, dass Gazprom, Russlands größter Industriekonzern, sich mit einem Stopp der Gasexporte nach Westen sein eigenes Grab schaufeln würde. Durch einen solchen Bruch der Lieferverträge wäre der Konzern „vom europäischen Markt auf alle Zeiten verbannt“, stattdessen würden dann europäische Kohle- und Kernkraftunternehmen an seine Stelle treten.
Russland sei also mindestens genau so abhängig von Europa wie Europa von Russland. Deutschland ist zusammen mit Italien größter Gaskonsument in Europa, und beide Länder sind im Gegenzug die größten Kunden von Gazprom. Insgesamt verdient Gazprom mit Exporten nach Europa jährlich rund 30 bis 40 Milliarden US-Dollar. Warum sollte Russland seine Exporteinnahmen aufs Spiel setzen, fragt Götz.
Russland sitzt Risiko aus
Der Gasstreit vom Januar 2009 hat allerdings gezeigt, dass Russland bereit ist, derlei Risiken auszusitzen. Schließlich sind Gazprom durch den Lieferstopp im Januar pro Tag etwa 120 Millionen US-Dollar an Gewinn verloren gegangen, insgesamt betrug der Verlust laut Alexej Miller, dem Chef von Gazprom, über eine Milliarde US-Dollar.
Gazprom will nun den Verlust durch das Internationale Schiedsgericht in Stockholm vom ukrainischen Partner Naftogaz einklagen lassen. Doch ob und wann das Unternehmen sein Geld erstattet bekommt, ist völlig ungewiss.
Fakt dagegen ist, dass sowohl Gazprom als auch die Ukraine an Renommee verloren haben.
Russisches Lieferrisiko ist ukrainisches Transitrisiko
Ein wichtiger Punkt jedoch werde in den europäischen Schuldzuweisungen und Abhängigkeitsszenarios häufig übersehen, so der Energie-Experte Simon Pirani vom Oxford Institute for Energy Studies. „Das, was Europäer als russisches Lieferrisiko bezeichnen, ist eigentlich ein ukrainisches Transitrisiko.“
Und das besteht nicht nur aus der Willkür politischer Machtspiele. Das Pipeline-Netz in der Ukraine wurde bereits zu Sowjetzeiten gebaut. Die schlechte wirtschaftliche Lage der Ukraine erlaubt es deshalb auch kaum, das Netzt instandzuhalten und wenigstens teilweise zu erneuern.
Russland, so Simon Pirani, setze deshalb darauf, früher oder später das ukrainische Pipeline-Netz zu übernehmen – quasi als Bezahlung der aufgelaufenen Gasschulden. Genau so war man mit den weißrussischen Öl-Pipelines verfahren, als ein ähnlicher Streit zwischen Weißrussland und Russland eskaliert war. Selbst ein europäisches Betreiber-Konsortium hat der russische Premierminister Wladimir Putin in Erwägung gezogen.
Russland sucht neue Transportwege
Langfristig will Russland mit neu geplanten Transitwegen das Lieferrisiko der Transitländer Ukraine und Weißrussland umgehen. Deshalb hat Russland die beiden aktuell geplanten „Umleitungen“ mit initiiert. Der North Stream, auch als Ostseepipeline bekannt, soll nördlich um die Ukraine herumführen. Beteiligt sind Gazprom mit 51 Prozent, die deutschen Energieversorger Wintershall und E.ON mit jeweils 20 Prozent und die niederländische Gasunie mit neun Prozent.
Der South Stream, ein Projekt von Gazprom und der italienischen Energie-Konzern Eni, soll im Schwarzen Meer verlegt werden und Russland mit Bulgarien, Italien und Österreich verbinden.
Beide Gas-Pipelines sind jedoch bisher nur geplant. Es wird noch mindestens drei Jahre dauern, bis sie in Betrieb genommen werden können. So lange ist die Gaszufuhr auch noch von Transitländern wie der Ukraine abhängig.
Stand: 20.03.2009