Für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gibt es verschiedene Strategien. Bei rein chemisch-synthetischen Wirkstoffen beginnt diese Suche oft am Computer: Die Forscher entwerfen neue Mittel, indem sie schon bekannte Wirkstoffe leicht verändern. Eine Molekülgruppe wird beispielsweise neu hinzugefügt oder durch eine andere ersetzt, sodass die neu entstandene Molekülform sich besser an einen bekannten Rezeptor anpasst. Soweit die Theorie. Doch dann muss der entworfene Wirkstoff erst noch im Labor synthetisiert und auf seine Wirkung hin überprüft werden. Erst dann entscheidet sich, ob die Arzneimittelfporscher tatsächlich einem viel verprechenden neuen Medikament auf der Spur waren.
Doch es gibt auch wieder einen Trend zurück zur Natur. Denn nur die wenigsten Pflanzen sind bisher umfassend auf ihre chemische Zusammensetzung und ihren therapeutischen Nutzen untersucht. Warum sollten sich in der verbleibenden Vielfalt nicht noch nützliche Wirkstoffe für den Kampf gegen Aids oder Krebs verbergen? Die Frage ist nur – wie findet man sie?
Der Klassiker: Sammeln und testen
Eine klassische Strategie verfährt ein wenig nach dem „Gießkannen-Prinzip“: Innerhalb eines Areals mit großer Pflanzenvielfalt tragen Wisenschaftler und ihre Helfer zunächst wahllos Pflanzen zur Durchmusterung zusammen. Das wohl größte Projekt dieser Art lief in den 1990er Jahren in Costa Rica: Dort hat die Regierung 1989 ein "Nationales Institut für biologische Vielfalt" (kurz: INBio) gegründet, dessen Aufgabe es ist, die gesamte Pflanzen-, aber auch Insekten- und Weichtierwelt des Landes zu erfassen – schätzungsweise mehr als eine halbe Millionen Spezies. Die gesammelten Proben, egal ob Raupe, Käfer oder Blatt, werden pulverisiert und dann an eine amerikanische Pharmafirma geschickt, die dann das Pulver auf eventuelle Wirksamkeit bei verschiedenen Krankheiten testet.
Bei einem ähnlichen Projekt untersuchten Mitarbeiter des amerikanischen Nationalen Krebsinstitutes in den 1960er Jahren insgesamt 33.000 Substanzen aus der ganzen Welt. 1964 stießen sie dabei auf Pflanzenextrakte aus der Eibe: Sie schienen eine Wirkung auf Krebszellen zu haben. Fünf Jahre später hatten die Forscher den Stoff isoliert, der für diese Wirkung verantwortlich war: Taxol. 1992 schließlich ließ die Arzneimittelbehörde der USA den Wirkstoff zur Behandlung von Eierstockkrebs zu. Inzwischen wird er auch bei metastasierenden Brustkrebs angewandt, wenn andere Therapien versagen.
Suche mit Vorauswahl
Doch es geht auch zielgerichteter: Beim stammesgeschichtlichen Ansatz suchen die Forscher neispielsweise nahe Verwandte solcher Pflanzen aus, die schon für medizinisch wirksame Inhaltstoffe bekannt sind. Alternativ wählen sie beim ökologischen Ansatz Arten aus, die in einem ganz bestimmten Lebensraum vorkommen oder bei denen Anzeichen dafür zu erkennen sind, dass ihre Inhaltsstoffe auf Tiere wirken. Denn wenn zum Beispiel bestimmte Pflanzen offensichtlich gegen Insektenbefall immun sind, könnte ein Gift die Ursache sein. Viele für Insekten toxische Sustanzen wiederum haben auch beim Menschen eine biologische Wirkung. In geeigneter Dosierung oder Abwandlung könnte dieser Stoff dann als therapeutisches Mittel eingesetzt werden.
Der Weg zur Zulassung
Haben Forscher auf diesen Wegen viel verprechende Pflanzen entdeckt, untersuchen sie diese in einem ersten Screening an Zellkulturen und Enzymsystemen auf mögliche Wirkungsbereiche. So überprüfen sie Proben an bis zu 60 verschiedenen menschlichen Turmorzell-Linien auf eventuell krebshemmende Wirkungen. Mit anderen Reagenzglastests lässt sich dagegen feststellen, ob ein Extrakt die Aktivität bestimmter Enzyme zu beeinflussen vermag, die für bestimmte Krankheiten entscheidende biochemische Reaktionen katalysieren.
Zeigt ein Extrakt bei einer der Untersuchungen deutliche Wirksamkeit, so wird im nächsten Schritt mittels spektroskopischer Verfahren seine Struktur ermittelt. Die ermittelte Molekülstruktur vergleicht man mit der bekannter chemischer Verbindungen. Falls es sich dabei um eine neue Substanz handelt oder um eine, die zwar schon bekannt, aber noch nicht auf ihre Eigenschaft als potentielles Arzneimittel untersucht ist, schließen sich weitere Analysen an. Erst dann wird der Entschluss gefasst, die Substanz zu einem Arzneimittel weiterzuentwickeln. In Laboranalysen und klinischen Tests muss schließlich die Wirksamkeit nachgewiesen werden, ehe die Zulassung erfolgt.
Stand: 23.02.2007