Während auf neuen Vulkaninseln in den Tropen das Leben oft explosionsartig Einzug hält, ist es zumindest den Pionierpflanzen auf Surtsey eher peu à peu, aber dafür kontinuierlich gelungen, die Insel zu besiedeln. Doch wie sind diese Pflanzen überhaupt auf die Insel gelangt? Diese Frage ist bis heute nicht vollständig geklärt. Viele Botaniker vermuten jedoch, dass die ersten Samen von der rund 18 Kilometer nördlich gelegenen Insel Heimaey stammten und mithilfe günstiger Meeresströmungen den Sprung auf die Insel schafften.
Einige Indizien sprechen dafür, dass diese Theorie stimmt. Denn die Samen von Pionierarten wie Salzmiere oder Strandroggen sind ziemlich groß, schwimmen gut und zeigen sich vor allem resistent gegenüber Salzwasser. Weitere Unterstützung für die Heimaey-Hypothese brachte ein spektakuläres Experiment. Wissenschaftler streuten vor der Südküste der größten Westmänner-Insel Millionen von kleinen Plastikperlen ins Meer und verfolgten anschließend ihre Verteilung im Ozean. Ergebnis: Immerhin ein Prozent der schwimmenden Versuchsobjekte kam tatsächlich auf Surtsey an.
Doch trotz aller Hinweise für eine schwimmende Eroberung Surtseys durch Salzmiere, Strandroggen & Co: Ausschließen, dass deren Samen mit Treibgut, mithilfe stürmischer Winde oder als „blinder Passagier“ auf Vögeln zur Vulkaninsel gereist sind, können die Forscher nicht.
Möwen bringen Leben
Zumal gerade Vögel und speziell Möwen für den nächsten „Quantensprung“ bei der pflanzlichen Besiedlung Surtseys eine Hauptrolle spielten. Erst seit 1986 nisten sie regelmäßig auf der Insel und seitdem hat sich die Zahl der Brutpaare von anfangs rund zehn auf heute mehrere Hundert erhöht. Im gleichen Zeitraum aber verdreifachte sich die Zahl der höheren Pflanzen nach den Ergebnissen der Wissenschaftler von 21 im Jahr 1985 auf rund 60 im Jahr 2004.
In der Möwenkolonie tauchten jedoch nicht nur zahlreiche neue Gräser oder andere Blütenpflanzen auf, die Vegetation wurde auch immer dichter. In wenigen Jahren verwandelten sich die schwarze Bimssteinbezirke und Lavasande in sattgrüne Grasslandschaften. Außerhalb des mittlerweile rund zehn Hektar großen Brutgebietes dagegen verlief die Entwicklung der Pflanzen viel gemächlicher. Dies ergaben verschiedene vergleichende Studien, die in den letzten 20 Jahren durchgeführt wurden.
Doch warum hatte gerade das schnelle Wachstum der Seemöwenkolonien so großen Einfluss auf die Pflanzenwelt Surtseys? Die Erklärung dafür war schnell gefunden: Die Möwen brachten von ihren Ausflügen auf andere Insel des Westmännerarchipels nicht nur Samen im Gefieder oder Magen mit, sie sorgten mit ihrem Guano auch dafür, dass sich die Bodenqualität in der Kolonie schlagartig verbesserte. Erst dadurch konnten sich auch weniger genügsame Pflanzen dort ansiedeln, die auf ein gutes Nährstoffangebot angewiesen sind.
Geben und nehmen
Als Düngerlieferanten waren die Möwen beispielsweise für das Auftauchen der ersten Büsche auf Surtsey verantwortlich. Deren Samen waren nach Ansicht von Wissenschaftlern bereits früh mithilfe des Windes auf die Insel gelangt. Sie fanden aber erst Jahrzehnte später durch die „Arbeit“ der Tiere die notwendigen Bodenverhältnisse vor, um dort ab dem Jahr 1995 auszutreiben und zu gedeihen.
Die Wissenschaftler schlossen aus ihren Beobachtungen, dass die Bedeutung von Vögeln bei der Eroberung neuer Landmassen durch höher entwickelte Landpflanzen bisher möglicherweise deutlich unterschätzt wurde. Die Statistiken für Surtsey belegen dies eindrucksvoll. Danach sind rund dreiviertel aller Samen mithilfe von Vögeln auf die Insel gelangt. Nur 14 Prozent kamen dagegen mit dem Wind und elf Prozent schwimmend über das Meer.
Doch eine Hand wäscht die andere: die Vögel schoben nicht nur die Ausbreitung der Pflanzen an, sie profitierten auch selbst von der üppigeren Flora auf der Insel. Einerseits hatten die Tiere dadurch endlich Nistmaterial in Hülle und Fülle zur Verfügung. Auf Surtsey konnten sich durch den Aufschwung der Pflanzen andererseits auch immer mehr pflanzenfressende Insekten etablieren, die dann wieder den Möwen als willkommene Zusatznahrung dienten.
Stand: 19.01.2007