Trotz aller Mängel ist der Waldzustandsbericht aber wohl doch kein Muster ohne Wert. Denn es gibt auch Wissenschaftler wie Professor Anton Fischer von der TU München, die Vorteile in diesem Verfahren sehen. „Wir könnten natürlich um jeden Baum herum ein wissenschaftliches Forschungsprojekt aufbauen, aber dazu fehlen die Menschen und das Geld. Wir brauchen eine Methode, die uns rasch einen ersten Überblick über den Waldzustand verschafft. Da ist die Bestimmung der Blattverluste in Prozent eine vergleichsweise einfache Methode, die sich relativ rasch und sogar in ganz Europa durchführen lässt. Es steht aber auch in jedem Waldschadensbericht, dass die Interpretation dieser gesammelten Daten sehr schwierig ist.“, so der Forscher in einem Interview mit der Tagesschau im Jahr 2006.
Und der frühere Staatsekretär der Bundesregierung Matthias Berninger sagte zu diesem Thema 2004 in der Wochenzeitschrift ZEIT: „Ich teile die Einschätzung nicht, der Bericht bringe überhaupt nichts. Dieses Jahr dokumentieren wir Zahlen für Buchen und Eichen, die alarmierend sind. Und was im vergangenen Jahr über das Borkenkäferproblem zusammengetragen wurde, das hat bereits im Winter zu einem verbesserten Krisenmanagement geführt. Solche Daten liefern uns durchaus Anhaltspunkte für Maßnahmen in der Forstpolitik.“
Klar ist jedoch: Schon in den 1980er Jahren gab es viel bessere Methoden zur Untersuchung von Waldschäden als die Schätzung der Kronenverlichtung. Vor allen Infrarotaufnahmen von Flugzeugen oder Satelliten aus erlauben seitdem nicht nur einen Zoom in einzelne Baumkornen. Sie geben auch präzise Auskunft über die Dichte der Vegetation und machen so Schäden besser sichtbar. Ein gesunder Baum „leuchtet“ im Infrarotbild rot.
“Wenn ich einen Wechsel habe von Rot hin zu Grün, dann ist es ein Zeichen dafür, dass die Vegetation krank, und wenn es ganz grün ist, tot ist.“ erläutert Professorin Barbara Koch vom Institut für Fernerkundung der Universität Freiburg in einem Beitrag für den Deutschlandfunk im Jahr 2004. “Hier können Sie gleich sagen: Was hat eine rote Farbe? Das sind die gesunden Bäume. Und was ist so grau, hier hellgrau dargestellt? Wenn sie ganz tot wären, wären sie grün. Das sind die geschädigten Bäume.“
Totschweigen statt gesunden lassen?
Die herbe Kritik und die durchaus vorhandenen methodischen Alternativen waren für die verschiedenen Bundesregierungen der letzten Jahre jedenfalls kein Argument, das 1984 eigentlich als Provisorium eingeführte Verfahren entscheidend zu verändern. Auf der einen Seite wollten die Politiker mit der Beibehaltung des Waldzustandsberichts die Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleisten. Anderseits fürchteten sie vermutlich die massiven Proteste der Umweltschutzorganisationen. Diese witterten bei entsprechenden Vorstößen sofort Verrat und argumentierten, dass der kranke Wald „gesundgelogen“ werden solle.
Doch im Jahr 2006 ist jetzt erstmals richtig Bewegung in den Streit um den Waldzustandsbericht gekommen. Initiiert hat die Diskussion um Sinn oder Unsinn des Reports Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer. Nach seinem Willen soll der jährliche Report schon bald der Vergangenheit angehören. Er hat vor die Waldinventur in Zukunft nur noch einmal alle vier Jahre vorzulegen. Offizielle Begründung: Bürokratieabbau und Straffung des Berichtwesens.
Es gibt im Ministerium sogar Überlegungen, den Waldzustandsbericht ganz abzuschaffen und in einer Gesamtbilanz zur Lage von Landwirtschaft, Fischerei und Forst aufgehen zu lassen.
Doch das letzte Wort ist in dieser Sache noch längst nicht gesprochen. Denn Umweltschutzorganisationen wie NABU, BUND oder der Deutsche Naturschutzring (DNR) laufen gegen dieses Vorhaben Sturm: „Durch Totschweigen wird der kranke deutsche Wald nicht gesunden“, sagte DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen im November 2006. Angesichts der nach wie vor erheblichen Aussagekraft dieser Berichte könnten hier Kostengesichtspunkte oder gar der immer wieder bemühte Bürokratieabbau keine Rolle spielen…
Stand: 08.12.2006