Die faszinierende Schönheit der Quallen wird erst unter Wasser deutlich. Als Taucher sieht man die farbenprächtigen Tiere manchmal in gewaltigen Schwärmen an sich vorbei treiben und die pulsierenden scheibenförmigen Körper wirken wie unbekannte Wesen aus einer anderen Welt. Beim Anblick der meterlangen Fangarme läuft einem ein Schauer über den Rücken, denn auch für Menschen sind die Tentakel einiger Quallenarten gefährlich. Doch so seltsam und geheimnisvoll sie uns auch erscheinen, die filigranen Tiere haben seit rund 600 Millionen Jahren einen festen Platz auf unserem Planeten. Und dies hat viele Gründe.
Einer davon ist sicherlich ihre Struktur, die zwar denkbar einfach ist, aber trotzdem effizient. Den Tieren fehlt ein Gehirn, das Herz und die Lunge, ihr Mund ist gleichzeitig ihr After und nur eine einzige Zellschicht kleidet nach außen die Körperoberfläche und im Inneren den Magenraum aus. Dazwischen liegt eine geleeartige Substanz, die hauptsächlich aus Wasser, Proteinen und Zucker besteht. Doch wie konnten die glitschigen Meeresbewohner ohne wichtige Organe so erfolgreich die Jahrmillionen überstehen? In den Quallen sind einige Besonderheiten verborgen, die wahre Meisterleistungen der Natur darstellen und den Tieren das Überleben sichern.
Nesselzellen – Beutefang mit der Durchschlagskraft einer Gewehrkugel
Am bekanntesten sind die äußerst komplexen Nesselzellen, die von den Tieren zur Jagd und zur Feindabwehr genutzt werden. Sie sind überall auf der Haut der Tiere verteilt und treten vor allem an den Tentakeln verdichtet auf. Bei einer Berührung öffnen sich die ovalen, doppelwandigen Kapseln und ein im Inneren verborgener Faden wird explosionsartig herausgeschleudert. Der Faden besteht aus einem Dornenapparat, der blitzschnell in das Beutetier eindringt und das Opfer mit einem freigesetzten Nervengift tötet oder betäubt.
Das Faszinierende an diesem Vorgang ist die Geschwindigkeit, mit der dies alles geschieht. Denn der Nesselfaden wird innerhalb von nur 700 Nanosekunden aus der Zelle herauskatapultiert, wie Professor Thomas Holstein von der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität im Jahr 2006 nachweisen konnte. Nach Angaben des Forschers ergibt sich daraus eine Beschleunigung von mehr als dem fünfmillionenfachen der Erdanziehung, vergleichbar mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel. Der Druck der dafür in der Kapsel aufgebaut werden muss, ist etwa 150 Mal so hoch wie der der Erdatmosphäre. Genau an diesem Punkt setzt das Interesse der Bionik-Wissenschaftler ein. Denn gelänge es die Struktur der Zellwand zu entschlüsseln und nachzubauen, könnte man vielleicht einen neuen extrem reißfesten Stoff entwickeln, der vielseitig und sicher auch lukrativ einsetzbar wäre. Bislang steckt die Forschung daran allerdings noch in den Kinderschuhen.
Mit leuchtenden Ködern auf der Jagd nach Beute
Doch die Nesselzellen sind nicht die einzige Besonderheit der Jäger: Rotes Licht steht für Gefahr. Dies gilt nicht nur für unsere Straßenkreuzungen, sondern auch für die Tiefsee. Normalerweise. Aber bei Quallen ist das anders. Hier dient es nicht als Warnsignal, sondern als Köder. Denn Quallen nutzen rotes Licht um Beutetiere, unter anderem Fische und Kleinkrebse, in die Falle zu locken. Biolumineszenz ist im Meer eigentlich nichts ungewöhnliches, die Farbe Rot allerdings schon. „Die Annahme, dass Rotlicht als Lockmittel fungiert, steht im Widerspruch zur vorherrschenden Meinung, Tiefsee-Organismen könnten kein langwelliges Licht wahrnehmen“ erklärt der Meeresbiologe Steven Haddock vom Monterey Bay Aquarium Research Institute.
Doch die Theorie ist aus seiner Sicht nur unzureichend belegt und die Staatsquallen der Gattung Erenna, die dem Wissenschaftler und seinem Team während einer Forschungsfahrt Anfang 2005 ins Netz gingen, scheinen sie eindeutig zu widerlegen. Denn bei der Untersuchung der gefangenen Exemplare stellte die Forschergruppe um Haddock fest, dass die Seitenäste der Tentakel jeweils mit einem rötlich schimmernden Köpfchen bestückt sind. In diesem Anhang befinden sich biolumineszierende Proteine, die bei jungen Tieren blaugrüne Lichtsignale und bei ausgereiften Exemplaren rotes Licht ausstrahlen. Aufgrund der Fische in den Mägen der gefangenen Jäger vermuten die Biologen, dass Tiefseelebewesen doch auf langwelliges Licht reagieren. Das rhythmische Flackern des Leuchtkörpers unterstreicht nach ihrer Ansicht die Köder-Theorie, da es die Bewegung von Kleinstlebewesen zu imitieren scheint.
MSC
Stand: 15.06.2007