Als Lomonossow 1736 nach Sankt Petersburg kommt, ist die dortige Akademie der Wissenschaften gerade zwölf Jahre alt. Sie ist das erste Produkt der Bildungsreform in Russland, die Peter der Große als eines der wichtigsten Anliegen seiner Amtszeit betreibt. Der Zar, der das Land seit 1682 regiert, hatte – zum Teil inkognito – mehrere Reisen nach Europa unternommen und orientiert sich sehr an der westlichen Kultur. Die Reisen des Zaren waren die Grundlage für die Reformen, die er auch in Landwirtschaft, Handel, Handwerk und in der Staatsverwaltung des Riesenreiches vornimmt.
Die Russische Akademie der Wissenschaften
In Sachen Bildung waren vor allem die wissenschaftlichen Akademien von Paris, London und Berlin Vorbild für Peter den Großen. Für die Gründung einer eigenen, russischen Akademie holt er deshalb viele Ausländer nach Sankt Petersburg. Zu den ersten Mitgliedern gehören Wissenschaftler wie der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler, die Physiker und Mathematiker Nikolai und Daniel Bernouilli, der deutsche Mathematiker und Jurist Christian Goldbach oder der Physiker Georg Kraft.
Eines der wichtigsten Anliegen der Akademie ist es jedoch, Wissenschaftler des eigenen Landes auszubilden. Der Mangel an russischen Fachkräften bietet schließlich Lomonossow eine einmalige und zur damaligen Zeit außergewöhnliche Chance.
„Erasmus“ auf russisch
Für eine Expedition nach Sibirien hatten die Akademiemitglieder unter den einheimischen Gelehrten einen Chemiker gesucht, der sich auch im Bergbau auskennt. Da sich ein solcher Spezialist unter den russischen Akademikern nicht finden lässt, beschließt der Rat der Akademie, einige ausgewählte Studenten ins Ausland zu entsenden und sie dort gezielt ausbilden zu lassen. Lomonossow ist einer der drei russischen Austauschstudenten.
Zu den Ehrenmitgliedern der russischen Akademie gehört auch der Deutsche Christian Wolff – Jurist, Mathematiker und Philosoph und einer der bedeutendsten Universalgelehrten im damaligen Deutschland. Wolff bietet an, die drei Gaststudenten in Marburg, wo er lehrt, unter seine Fittiche zu nehmen.
Studentenleben in Marburg
So kommt Lomonossow Ende 1736, nur ein halbes Jahr, nachdem er aus dem Moskauer Kloster nach Sankt Petersburg gewechselt war, in Marburg an. Hier sollen sich die drei Entsandten Kenntnisse in Physik, Chemie und Sprachen aneignen. – Lomonossow lernt schnell. Zwei Jahre später schickt er seine Dienst-Berichte schon in deutscher Sprache nach Sankt Petersburg, 1739 reicht er seine ersten Dissertationen bei der Akademie ein, eine in Physik, die andere in Chemie.
Doch auch den Auftrag, den europäischen Lebensstil zu studieren, nehmen die Studenten sehr ernst, zu ernst sogar. Nach Jahren im Kloster, nahezu abgeschnitten von der Außenwelt, genießen die drei jungen Russen das Leben unter den trink-, spiel- und duellier-freudigen deutschen Studenten. Schon bald wendet sich Wolff hilfesuchend an die Akademiemitglieder in Petersburg. Mehrfach schon sei er in Vorkasse getreten, um die Schulden der Austauschstudenten zu tilgen. Lomonossow droht sogar eine Karzerstrafe, weil er seinen Zahlungen nicht nachkommt.
An der Bergakademie Freiberg
Im Jahr 1739 haben die drei Studenten 1.370 Reichstaler Schulden. Die Akademie entscheidet schließlich, die drei nach Freiberg zu versetzen und ihnen das Stipendium von 300 auf 150 Taler pro Jahr zu kürzen. In Freiberg widmen sich Lomonossow und seine Kommilitonen unter Anleitung des Bergrats und Mineralogen Johann Friedrich Henckel dem Bergbau und der Metallurgie. Weil sich Lomonossow nur wenig später mit Henckel überwirft, verlässt er Freiberg bereits kurz darauf wieder. Über Leipzig, Kassel, Frankfurt macht er Abstecher nach Rotterdam und Den Haag und kehrt schließlich Mitte 1740 wieder nach Marburg zurück.
Schlechte Familienplanung
Hier wartet auf Lomonossow ein weiteres schwerwiegendes Problem. Die Tochter seiner Wirtin hat mittlerweile ein uneheliches Kind von ihm zur Welt gebracht. Lomonossow sieht sich genötigt zu heiraten. Doch schon ein Jahr darauf, 1741, kehrt er nach fünf Jahren Auslandsstudium an die Akademie in Sankt Petersburg zurück – ohne finanzielle Mittel und ohne seine Familie.
Stand: 28.07.2006