Phänomene

Ein großes Hirn ist nicht genug…

Delfine weniger intelligent als gedacht

Delfine "fliegen" über das Meer © NOAA

Käme es bei der Intelligenz eines Tieres nur auf das Verhältnis von Hirn- zu Köpergewicht an, dann hätten Delfine gute Karten. Ihr Wert liegt deutlich über dem von Menschenaffen und kommt sogar dem des Menschen gefährlich nahe.

Auch wenn man in Beziehung setzt, was Gehirn und Rückenmark wiegen und dies zum Maßstab für schlau oder dumm nimmt, würden Delfine wie der große Tümmler ausgezeichnet abschneiden. Doch diese beiden Methoden zur Intelligenzmessung sind unter Wissenschaftlern umstritten.

Groß heißt nicht unbedingt leistungsfähig

Denn dass „groß“ nicht unbedingt auch „leistungsfähig“ oder „intelligent“ bedeuten muss, hat beispielsweise Professor Onur Güntürkün von der Ruhruni Bochum im Jahr 1998 nachgewiesen. Der Biopsychologe von der Fakultät für Psychologie untersuchte Gewebeproben aus dem großen, schweren und stark gewundenenem Gehirn von toten Delfinen und stellte dabei fest, dass die Großhirnrinde zwar über viel Masse aber nur wenige graue Zellen verfügt. Auch der Aufbau des Cortex unterschied sich zur Enttäuschung der Forscher deutlich von dem anderer hoch entwickelter Säugetiere.

„Säugetiere haben einen so genannten sechsschichtigen Cortex, also eine Hirnrinde. Sie besteht wie eine Schwarzwälder Kirschtorte aus sechs aufeinander gebauten Schichten. Bei Delfinen fehlt eine dieser Rinden. Sie haben nur fünf. Und es ist eine ganz kritische Schicht, die ihnen fehlt. Es ist die Schicht, die die ganzen Eingänge aus den tieferliegenden Strukturen des Gehirns in die Hirnrinde leitet“, erläuterte Güntürkün im Jahr 2002 in der Sendung Prisma des Norddeutschen Rundfunks.

„Etwas zweites fällt auf: Wenn man diese Hirnrinde in regelmäßige Säulen unterteilt und die Nervenzellen in diesen Säulen zählt, so hat man bei Mäusen, bei Ratten, bei Hunden, Katzen, verschiedenen Affen und auch bei uns ungefähr 110 Nervenzellen pro Säule. Bei Delfinen haben wir nur 23 gefunden“, so der Wissenschaftler weiter.

Um auszuschließen, dass äußere Umstände für die geringe Zahl an Nervenzellen verantwortlich sind – die gestrandeten Delfinkadaver hatten stundenlang in Netzen gehangen – analysierte Güntürkün zum Vergleich gestrandete Ratten, die ähnlichen Bedingungen ausgesetzt waren. Das Ergebnis: Nahezu „normale“ 107 Nervenzellen pro Säule.

Ernüchtert von den Ergebnissen seiner Studien kam Güntürkün in einem Beitrag für das Forschungsmagazin „Rubin“ der Ruhruni Bochum zu dem Schluss, dass die Anzahl der Nervenzellen im Delfingehirn „dramatisch unter der von Landsäugern liegt.“

Doch eines gab dem Wissenschaftler Rätsel auf. Wenn das Hirn und speziell die Hirnrinde der Meeressäuger so simpel gestrickt ist, warum sind Delfine dann zu den vielfach beschriebenen Leistungen beim Spielen, dem Lernen von Gestensprachen oder in der Autismustherapie fähig?

Keine überragenden kognitiven Leistungen bei Delfinen

Versuche seines Kollegen Dr. Lorenzo von Fersen in Mundo Marino, einer außergewöhnlichen Synthese von Freizeitpark und wissenschaftlichem Institut an der La Plata Mündung in Argentinien, lieferten im gleichen Jahr Hinweise darauf, dass es mit der Intelligenz von Delfinen möglicherweise doch nicht so gut bestellt ist, wie bisher angenommen.

Monatelang versuchte der Wissenschaftler Delfinen beizubringen, dreieckige von anderen Symbolen zu unterscheiden. Die Fehler häuften sich immer dann, wenn die Delfine aus neuen, bisher unbekannten ähnlichen Formen die Dreiecke heraussuchen sollten.

Güntürkün und von Fersen zogen daher in ihrem „Rubin“-Artikel folgendes Fazit: „Es stimmt, dass Delfine abstrakte visuelle Konzepte lernen können. Allerdings lernen zum Beispiel Tauben solche Aufgaben ebenfalls, und zwar schneller. Die Lerngeschwindigkeit und die Leistungen Delfinen sind wesentlich besser, wenn akustische Reize verwendet werden. Aber auch dann gibt es keine kognitiven Leistungen, die nicht schon in ähnlicher Form mit Tauben oder Ratten demonstriert worden wären.“

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Stand: 29.10.2004

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Inhalt des Dossiers

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