Kaum hat die Wissenschaftlergemeinde die neue Erkenntnis verdaut, dass Krebsviren – darunter auch und vor allem RNA-Viren – einen Teil ihrer Erbinformation in die DNA der Zelle einbauen, kommt der nächste Schock: Zwei Forscher am amerikanischen National Cancer Institute, Robert Huebner und George Todaro, experimentieren in den 1970er Jahren mit dem Rous-Virus an verschiedenen Säugetieren. Dabei stellen sie zu ihrem großen Erstaunen fest, dass in den Tumorzellen auch dann Viren-DNA nachweisbar ist, wenn die Tumoren gar nicht durch Infektion mit dem Virus, sondern durch physikalische oder chemische Einflüsse erzeugt worden sind. Wie ist das zu erklären?
Die „Virogen-Onkogen“-Hypothese
Huebner und Todaro erklären sich das Auftauchen der Viren-DNA „aus dem Nichts“ damit, dass die Zellen in ihrer Erbinformation Virengene enthalten müssen, die irgendwann im Laufe der Evolution in das Genom eingeschleust worden sind. Diese bis heute konservierten DNA-Abschnitte werden unter bestimmten äußeren Einflüssen aktiv und erzeugen virale Proteine und damit neue Viren. Ein Teil dieser „Virogene“, so ihre Hypothese, löst dabei jedoch auch die Bildung von Tumoren aus und fungiert damit als „Onkogen“.
Auf der Suche nach dem Tumorgen
Stimmt diese Theorie, müsste das Rous-Onkogen tatsächlich in der zellulären DNA auch von gesunden Tieren nachweisbar sein. Ein weiteres Forscherpaar, Michael Bishop und Harold Varmus von der Universität von Kalifornien in San Francisco, macht sich auf die Suche und will zu diesem Zweck das Genom des Rous-Sarkoma-Virus mit der Hühner-DNA vergleichen. Ohne moderne Hilfsmittel wie PCR oder Sequenzierautomaten eine langwierige und fast unlösbare Aufgabe.
Doch da kommt ihnen der Zufall zu Hilfe: 1971 entdeckt Peter Vogt von der Universität von Südkalifornien eine Virusmutante, die sich zwar vermehren kann, der aber die Fähigkeit zur Tumorauslösung zu fehlen scheint. Da das Genom des Virus gleichzeitig auch 15 Prozent kürzer ist als normal, liegt der Schluss nahe, dass sich genau in diesem fehlenden Stück möglicherweise das oder die entscheidenden Tumorgene befinden.
Für Bishop und Varmus ist das genau der Hinweis, den sie brauchen. Jetzt können sie gezielt testen, ob dieses „src“ getaufte Genstück in der zellulären DNA ihrer Versuchshühner enthalten ist und damit als zelleigenes potenzielles Krebsgen in Frage kommt. Zu ihrer Überraschung werden sie jedoch nicht nur bei Hühnern, den Hauptwirten des Rous-Virus, fündig, sondern auch bei Vögeln quer durch den gesamten Stammbaum.
Und dessen nicht genug, finden andere Wissenschaftler sehr schnell auch src-Varianten in Schweinen, Kaninchen, Ratten, Schlangen und sogar dem Menschen. Das von Huebner und Todaro postulierte Onkogen scheint damit gefunden. Aber Bishop und Varmus trauen dem Frieden nicht. Die extrem weite Verbreitung macht sie stutzig. Stammt dieses Gen wirklich aus dem Rous-Virus?
Stand: 15.10.2004