Mit der Identifizierung eines zelleigenen Proto-Onkogens ist ein wichtiger Durchbruch erreicht. Schon kurze Zeit später haben die Forscher an die 40 verschiedene retrovirale Onkogene identifiziert. Sie wagen die Hypothese, dass in den meisten Zellen Gensequenzen existieren könnten, die einem tumorauslösenden Viren-Gen entsprechen und damit möglicherweise selbst potenziell krebserzeugend sind. Es gibt demnach einen „inneren Feind“, der bei der Tumorbildung eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt wie Tumorviren und andere äußere Faktoren.
Doch die neuen Erkenntnisse werfen fast ebenso viele neue Fragen auf, wie sie beantworten. Eine der wichtigsten formuliert Varmus so: „War die Erhaltung des src-Gens während der Evolution ein Indiz für seinen zellularen Ursprung? Oder könnte es trotzdem ein ursprünglich von einem Virus stammendes Gen sein, dass einfach nur besser konserviert wurde als vergleichbare virale Elemente?“
Zelleigen statt eingeschleust
Antworten auf diese Frage kommen sehr schnell aus unterschiedlichen Richtungen. Den letztendlich entscheidenden Hinweis gibt jedoch die Sequenzanalyse. Sie zeigt, dass das src-Gen an vielen Stellen durch Introns, scheinbar informationslose „Junk-DNA“ unterbrochen ist, ein Charakteristikum von zellulärer DNA, das bei viralen Genen normalerweise nicht auftritt.
Im Rückblick kommentiert Harold Varmus: „Alle unsere Argumente und Experimente ließen nur einen Schluss zu: Der Vorläufer von src war ein konserviertes – und damit lebensnotwendiges – zelluläres Gen, das durch Rekombination seinen Weg in das Rous-Sarkoma-Virus fand.“ Damit deutet alles daraufhin, dass der ursprünglich in der „Virogen-Onkogen“-Hypothese aufgestellte Entwicklungsweg genau umgekehrt verlaufen sein muss.
Das erklärt auch, warum das Onkogen so lange in der Zelle erhalten geblieben ist: „Weit entfernt davon, ein schädliches Element zu sein, das nur darauf lauert, durch ein karzinogenes Signal aktiviert zu werden, scheinen die Vorstufen der viralen Onkogene eine für den Organismus wichtige Funktion zu haben, sonst wären sie nicht im Laufe der Evolution erhalten geblieben“, so Varmus. Tatsächlich spielen die Gene bei so grundlegenden Prozessen wie dem Zellwachstum und der Zellentwicklung und –differenzierung eine Rolle.
Unfreundliche Übernahme
Wie aber wird dieses so nützliche Gen zum Auslöser für einen „Amoklauf“ der infizierten Zelle? Bishop und Varmus postulieren, dass das Retrovirus, wenn es die Zelle befällt, das harmlose Proto-Onkogen erkennt und in seine pathogene Form umwandelt. Im Laufe dieses als Transduktion bezeichneten Prozesses blockiert das Virus die normale Aktivität des Gens und entzieht es der Steuerung durch den Organismus. Als Folge induziert das überaktivierte und fehlgeleitete Gen beispielsweise unkontrolliertes Wachstum der Zelle.
Diese Umwandlung, so vermuten die beiden Forscher, könnte aber durchaus auch durch chemische oder physikalische Einflüsse stattfinden und damit die seltsamen Befunde von Huebner und Todaro erklären. 1983 wird diese Hypothese bestätigt, als Wissenschaftler eine Reihe von zellulären Genen entdecken, die sowohl viralen Krebsgenen als auch Onkogenen aus nicht von Viren erzeugten Tumoren gleichen.
Stand: 15.10.2004