Die weiten warmen Flachmeere des Jura boten vielen Organismen einen idealen Lebensraum. Am Meeresboden entwickeln Muscheln und Krebse ein immer größer werdendes Spektrum unterschiedlicher Arten. Das freie Wasser war von einer Vielzahl von Wirbeltieren bevölkert wie von Haien, Rochen, altertümlichen Fischen mit kräftigen Schuppen (Ganoidfische), teils auch schon von modernen Knochenfischen, sowie perfekt an das Meeresleben angepassten Reptilien (beispielsweise die lebendgebärenden Ichthyosaurier).
Die eigentlichen Herren der Meere waren aber zu dieser Zeit die Tintenfische, allen voran die vor 65 Millionen Jahren, am Ende der Kreidezeit, ausgestorbenen Ammoniten. Die Fossilien ihrer Gehäuse sind milliardenfach in den Absatzgesteinen der Jura-Zeit überliefert. Eine rasche stammesgeschichtliche Entwicklung und ihre vielsietige Anpassungsfähigkeit, die zu einer fast unerschöpflich reichen Artenfülle geführt hatten, machen die Ammoniten heute zu unverzichtbaren Zeitmarken (Leitfossilien), mit deren Hilfe die Gesteine des Jura datiert und über groé Distanzen korreliert werden können.
Eine Gruppe von Paläontologen der FU-Berlin erforscht die Paläobiologie verschiedener Tintenfisch-Gruppen mit der Absicht, aus den Wechselbeziehungen zwischen lang- und kurzfristigen erdgeschichtlichen Umweltveränderungen und der Evolution dieser insgesamt äußerst erfolgreichen Organismengruppe Lebens- und Überlebensstrategien zu erkennen. Die dabei erzielten Ergebenisse dienen unter anderem dazu, grundsätzliche Mechanismen der Evolution aufzudecken und die Verbreitungsmuster der heutigen Tintenfische zu verstehen. Dabei werden mit oft kriminalistischer Akribie viele Details der damaligen Lebewelt erforscht, deren puzzleartiges Zusammenfügen die teilweise ausgestorbenen Lebewesen virtuell wieder erstehen lässt.
Bei den Tintenfischen unterscheiden wir ursprüngliche Formen wie die Ammoniten und den heutigen Nautilus, die ihr Gehäuse außen tragen und infolge des Strömungswiderstandes eine eher gemächliche Bewegungsweise haben, und fortschrittliche Vertreter, die ihr Gehäuse in das Köperinnere verlagert, oft auch ganz reduziert haben. Diese modernen, stromlinienförmigen Tintenfische sind mit Hilfe des Rückstoßantrieb sowie der Entwicklung äußerer Flossen zu gewandten Jägern geworden.
Spiralgehäuse mit Doppelfunktion
Die meist spiralig aufgerollten Gehäuse der Ammoniten erfüllten- wie bei dem „lebenden Fossil“ Nautilus – eine Doppelfunktion als Wohn- und Schutzröhre einerseits und als hydrostatischer Auftriebsapparat andererseits. Dieser Aufgabenteilung entspricht die Unterteilung des Gehäuses in eine Wohnkämmer und den segmentierten „Phragmokon“.
Der in viele Kammern unterteilte Auftriebsapparat war das Vorbild des U-Boot-Prinzips: Die gasgefullten Kammern enthielten bei den Ammoniten bis zu 25 Volumenprozent Wasser (bei Nautilus nur etwa fünf Volumenprozent), das mit Hilfe eines durchbluteten Kanals (Sipho) sowohl osmotisch abgepumpt als auch durch Kapillarkräfte der organischen Kammerauskleidung wieder geflutet werden konnte. Auf diese Weise war das Tier in unterschiedlichen Wässertiefen und bei unvermittelten Gewichtsänderungen in der Lage, energiesparend sein Gleichgewicht mit der Umgebung einzustellen.
Der sehr effizienten Gleichgewichtshaltung verdankten die Ammoniten, dass sie großflächige gewichtsreduzierende Schalenverluste, die sie bei häufigen Feindattacken hinnehmen mussten, überleben und regenerieren konnten, ohne hilflos andie Wasseroberfläche aufzutreiben. Ein Umstand, der für die Existenz der bodennah lebenden Ammoniten-Arten im Jura von essentieller Bedeutung war, da die rasche Entfaltung der Krebse den Prädationsdruck stark erhöht hatte.
Die beim Wachstumsfortschritt nach und nach in die Gehäuseröhre eingezogenen Kammerscheidewände bilden durch eine oberflächenvergrößernde Fältelung an ihrer Verwachsungszone mit der Gehäusewand die charakteristische Lobenlinie, die auf dem Sedimentausguss des Gehäuses (das ist der Steinkern) sichtbar wird.
Zwergenmännchen und Riesenweibchen
Gerade im Jura häufen sich die Nachweise, dass viele Ammoniten einen zunehmenden Sexualdimorphismus aufweisen, das heißt, dass sich Männchen und Weibchen in Größe und Gestalt deutlich unterscheiden. So finden sich – ähnlich einigen modernen Kraken, deren Männchen verzwergen und teilweise nur ein Zwanzigstel der Größe der Weibchen erreichen – in denselben Gesteinsschichten von einer Art typische dimorphe Gehäusepaare.
Vom Räuber zum Planktonfresser
Alle heute lebenden Tintenfische haben einen kräftigen, papageischnabelähnlichen Kieferapparat, der ihnen eine räuberische Lebensweise erlaubt. Die Ammoniten gaben im Verlauf ihrer 350 Millionen Jahre dauernden Entwicklung die räuberische Lebensweise weitgehend auf und stellten ihre Ernährung auf Kleinlebewesen (Plankton) um. Der dafür nicht mehr benötigte Kiefer wurde im Verlauf des Jura in ein Deckel-Organ (den sogenannten Aptychus) umkonstruiert.
Diese innerhalb der Kopffüßer ungewöhnliche Ernährungsweise, die mit einer zunehmenden Einnischungder Ammoniten in die flachen Schelfmeere einhergeht, ist vermutlich für ihr Aussterben am Ende der Kreidezeit verantwortlich, als eine alle Weltmeere umfassende Planktonkrise ausgelöst wurde.
Stand: 14.06.2002