So variantenreich wie die Ausgangsstoffe und der Weg der Kristallbildung ist auch die Vielfalt der Kristalle auf unserem Planeten. Auf der Erde sind mindestens 5.000 verschiedene natürlich vorkommende Kristalle bekannt – die Minerale. Weitere 1.500 warten wahrscheinlich noch auf ihre Entdeckung.
Wie Wörter in einem Buch
„Minerale folgen der gleichen Häufigkeitsverteilung wie Wörter in einem Buch“, erklärt Robert Hazen von der Carnegie Institution in Washington. Bestimmte Wörter wie die Artikel oder das Bindewort „und“ kommen sehr häufig vor, andere sind dagegen so speziell, dass sie vielleicht nur einmal im gesamten Buch auftauchen. „Genauso ist es mit den Mineralen“, sagt Hazen.
So kommen rund 30 bis 40 Minerale auf der Erde sehr häufig vor. Sie sind die Kristalle, aus denen die Gesteine unseres Planeten aufgebaut sind, beispielsweise Granit, Basalt oder Sandstein. Zu diesen Gesteinsbildnern gehört beispielsweise der Quarz, chemisch Siliziumdioxid. Seine Gitterstruktur ist aus verknüpften Tetraedern aufgebaut, die dem Quarz eine große Härte verleihen. Je nach Größe der Kristalle kann Quarz als durchscheinender Bergkristall vorkommen, aber auch als schlichter Sand.
Einzigartige Vielfalt
Zu diesen häufigen Mineralen gesellen sich jedoch tausende andere, die eher selten sind. Sie kommen weltweit nur an wenigen, eng begrenzten Orten vor. 22 Prozent von ihnen findet man höchstwahrscheinlich sogar nur an einer einzigen Stelle auf unserem Planeten, wie Hazen und seine Kollegen feststellten. Weitere gut 1.500 irdische Minerale haben wir noch gar nicht entdeckt. So könnten fast 35 Prozent aller Natriumminerale bisher noch unentdeckt sein, weil viele davon unauffällig weiß, wenig kristallisiert oder wasserlöslich sind.
Doch gerade diese seltenen Minerale sind es, die die einzigartige mineralogische Vielfalt unseres Planeten ausmachen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Mineralogie der Erde irgendwo im Kosmos duplizieren lässt, liegt bei weniger als zehn hoch minus 322“, haben Hazen und seine Kollegen ausgerechnet.
Leben als Kristallbildner
Einer der Gründe dafür: Mehr als zwei Drittel der bisher bekannten irdischen Minerale verdanken ihre Existenz direkt oder indirekt dem Leben auf unserem Planeten. Als unser Sonnensystem entstand, kreisten im Staub der Urwolke wahrscheinlich nur rund ein Dutzend verschiedener Minerale. Erst im Laufe der Erdgeschichte sorgten geologische und biologische Prozesse dafür, dass sich die Elemente zu immer neuen kristallinen Verbindungen kombinierten.
Eine Schlüsselrolle nahm dabei die Fotosynthese der ersten Blaualgen ein. Als sie vor rund 2,5 Milliarden Jahren die Erdatmosphäre sauerstoffreich machten, bilden sich Oxide und andere sauerstoffhaltige Verbindungen – und das ermöglichte ganz neue Mineraltypen. So gäbe es ohne Sauerstoff beispielsweise keine Rubine oder Saphire, denn das Mineral Korund ist ein Aluminiumoxid.
Aber auch Lebewesen selbst bilden Kristalle. Ohne Korallen und Foraminiferen gäbe es heute beispielsweise den größten Teil der Kalksteinvorkommen nicht. Erst sie bildeten in ihren Geweben das Kalziumkarbonat, aus dem ihre stabilen Kalkskelette und damit auch Riffe und im Laufe der Erdgeschichte die Kalksteinschichten wurden. Selbst in unseren Knochen werden ständig neu kleine Kalkkristalle gebildet.
Nadja Podbregar
Stand: 13.01.2017