Da kommen sie wie ausgelassene Kinder aus dem Wald an das offene Seeufer. Zehn, elf, ein Dutzend, in dem Gewusel sind sie kaum zu zählen. Die rotbraunen Tiere, die wie halb Schakal, halb Wolf daherkommen, huschen auf dem Grasplatz zwischen See und Waldrand durcheinander. Manche trinken am Seeufer, andere wirken noch unschlüssig oder schauen herüber, als gelte es Wache zu halten.
Wildtiere auf dem Silbertablett
Das Ausflugsschiff mit den vielen Menschen an Bord scheint sie aber nicht wirklich zu stören. Sie sind es gewohnt. Ausflugsboote gondeln den Periyar-See, gelegen im Hinterland des südindischen Bundesstaates Kerala, an schönen Tagen im Viertelstundentakt auf und ab – ein beliebtes Freizeitvergnügen für indische Familien und Honeymooner. Cola in der Hand, zwei Stunden Naturromantik, keine Anstrengung und vermeintlich kein Risiko, aber mit Aussicht auf eine große Wildlife-Bühne.
Der Schauplatz: das Periyar Tiger Reserve, ein Tigerschutzreservat in den Kardamom-Bergen, einem Gebirgszug der Western Ghats. Die Touristen zücken Ferngläser und Kameras und rennen nach Steuerbord. Vor einigen Jahren, im September 2009, ging das nicht gut aus, als sich am Ufer eine Elefantenherde zeigte und die Passagiere, während das Boot eine Kurve fuhr, zum Public Viewing blitzartig alle nach Steuerbord stürzten. Das kleine Schiff bekam Schlagseite und kippte – 45 Tote wurden später gezählt, bis auf zwei alles Inder, die meisten Frauen und Kinder.
Weitgehend unbeachtet
Unser Dieselkahn neigt sich nicht spürbar. Die wenigsten Ausflügler dürften wissen, was für eine zoologische Rarität sich da ihnen wie auf dem Silbertablett präsentiert: Cuon alpinus, der Asiatische Wildhund, auch Rothund genannt. Auch nur einen einzigen Asiatischen Wildhund in freier Wildbahn zu sehen, ist statistisch gesehen noch unwahrscheinlicher als die Sichtung eines Tigers im Dschungel.
Der Rothund-Forscher Matt Hayward von der walisischen Bangor University schätzt die Zahl von Rothunden im fortpflanzungsfähigem Alter in ganz Asien auf nicht einmal 2.500. „Wenige Großraubtiere sind so bedroht wie derzeit die Rothunde“, urteilt er. Tiger in freier Wildbahn gibt es schätzungsweise noch etwa 3.800, davon etwa zwei Drittel im Alter über eineinhalb Jahre.
Kai Althoetmar
Stand: 09.09.2016