Hormone sind für die Feinabstimmung im Körper zuständig: Wenn Zellen in einer ganz bestimmten Weise reagieren oder sich auf eine bestimme Art weiterentwickeln sollen, erhalten sie ein chemisches Signal. Dies ist ganz besonders während der Entwicklungsphasen wichtig. Geschlechtshormone wie Östrogen und Testosteron sorgen nicht erst in der Pubertät für die Ausprägung von geschlechtsspezifischen Merkmalen. Schon im ungeborenen Kind legt das Zusammenspiel der Hormone die Grundlagen der späteren Entwicklung, im Körper wie auch im Gehirn.
Umwelthormone sind allgegenwärtig
Doch was, wenn dieses genau abgestimmte Gleichgewicht durcheinander gerät? Mittlerweile sind viele Substanzen bekannt, die ähnlich wie die körpereigenen Geschlechtshormone wirken. Das Tückische daran: Eine ganze Reihe dieser sogenannten endokrinen Disruptoren ist Bestandteil ganz normaler Alltagsgegenstände.
Vor allem Kunststoffe sind eine Quelle dieser Hormone aus der Umwelt: Weichmacher wie Phtalate geben Plastik die gewünschte Härte oder Biegsamkeit. Im typischen Duft eines neuen Autos kann man die Phtalate aus den Kunststoffarmaturen sogar riechen, aber auch in unzähligen anderen Plastikgegenständen von Küchengeräten bis Fußbodenbelägen kommen sie vor. Der Zusatzstoff Bisphenol A (BPA) wirkt in den Kunststoffen als Antioxidationsmittel und lässt die Weichmacher länger ihre Aufgabe erfüllen.
Beide Substanzen finden sich in Plastikflaschen, Lackierungen von Getränkedosen, Thermopapier, Klebstoffen, Kleidung und Sportartikeln aus Kunststofffasern und noch vielem mehr. Sie sind praktisch allgegenwärtig. Ausgerechnet diese Kunststoff-Komponenten erweisen sich jedoch mehr und mehr als Störer unseres Hormonsystems.
Chemikalien aller Klassen
Doch Bisphenol A und Phtalate sind bei weitem nicht der einzige Stoff mit derartiger Wirkung. Endokrine Disruptoren stammen aus den verschiedensten Klassen von Chemikalien: Das Pestizid DDT wirkt nicht nur verheerend auf die Tierwelt, es hat auch Hormonwirkung auf Menschen. Polychlorierte Biphenyle (PCB) dienen als Kühlmittel und Schmiermittel, sind aber ebenfalls als Umwelthormone und Krebserreger berüchtigt. Auch Schwermetallverbindungen wie Methylquecksilber stehen im Verdacht, als endokrine Disruptoren zu wirken.
All diese Stoffe haben gemeinsam, dass sie wichtige und viel verwendete Chemikalien sind, die auf diesem Wege in großer Menge in die Umwelt gelangen. Viele bekannte Umwelthormone sind bereits verboten oder dürfen nur noch eingeschränkt verwendet werden. Doch eine große Menge solcher Substanzen ist noch nicht ausreichend auf ihre Schadwirkung untersucht und viele weitere Kandidaten sind möglicherweise noch gar nicht identifiziert.
Ansgar Kretschmer
Stand: 12.06.2015