Warum aber hat gerade die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln einen so schlechten Ruf? Einer der Gründe geht auf das Jahr 1998 zurück. Damals veröffentlicht eine Forschergruppe um Andrew Wakefield vom Royal Free Hospital in London einen Bericht im angesehen Fachmagazin „The Lancet“, der weltweit für Aufsehen und Besorgnis sorgt.
Denn die Forscher beschrieben zwölf Fälle von Kindern, die als Kleinkinder die MMR-Kombinationsimpfung erhalten hatten und bald darauf die ersten Symptome eines regressiven – sich verschlimmernden – Autismus zeigten. Angeblich seien die Kinder zuvor völlig normal entwickelt gewesen, entwickelten dann aber wenige Wochen nach der Impfung zunächst eine entzündliche Darmerkrankung, dann die ersten Verhaltensauffälligkeiten.
Auf einer Pressekonferenz erklärt Wakefield, er habe Zweifel daran, ob der MMR-Impfstoff sicher sei und dass es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen der Impfung und Autismus gebe. Nach den ersten Medienberichten darüber geht eine Welle der Impfpanik durch die Industrieländer. In vielen Ländern sind Eltern so verunsichert, dass sie sich komplett weigern, ihre Kinder impfen zu lassen. Mit spürbaren Folgen: Wenige Jahre später – diese Kinder sind nun im Schulalter – steigen die Raten von zuvor fast ausgerotteten Kinderkrankheiten wie Keuchhusten und den Masern wieder deutlich an.
Autismus-Vorzeichen schon vor der Impfung
Was aber war dran an Wakefields These? Aufgeschreckt durch die Publikation suchen nun Forscher weltweit ebenfalls nach Fällen, die einen Hinweis auf eine Autismus auslösende Wirkung der MMR-Impfung geben – aber ohne Erfolg. 2003 schließlich wertet eine Forschergruppe alle bisherigen Studien dazu aus und kommt eindeutig zu den Schluss: Der vermeintliche Zusammenhang ist keiner.
Zwar zeigen sich viele für die Eltern erkennbare Symptome des regressiven Autismus tatsächlich erst im Alter von eineinhalb bis zwei Jahren – und damit nach der MMR-Impfung. Die betroffenen Kinder verlieren dann teilweise sogar zuvor gelernte soziale und geistige Fähigkeiten wieder und scheinen sich zurück zu entwickeln. Aber wie man heute weiß, gibt es auch bei diesen Kindern schon lange vor der MMR-Impfung erste Autismus-Anzeichen: Sie zeigen veränderte Gehirnströme und ein anormal starkes Kopfwachstum schon im Säuglingsalter. Auch der Gehalt bestimmter Proteine ist in ihrem Gehirn bereits erhöht.
„Auf einer Stufe mit dem Piltdown-Menschen“
Wenig später stellt sich sogar heraus, dass Wakefield seine Daten bewusst gefälscht hat, um den zeitlichen Zusammenhang von Impfung und Autismus -Ausbruch „schönzufärben“. „Der MMR-Schreck war nicht einfach nur schlechte Wissenschaft, sondern ein bewusster Betrug – mit fatalen Folgen“, erklärt die Chefredakteurin des angesehenen British Medical Journal dazu in einem Editorial. In seinem Ausmaß und Folgenhaftigkeit sei dieser Fall mit der Fälschung des Piltdown-Menschen vergleichbar – einem vermeintlichen fossilen Bindeglied zwischen Affe und Mensch, das erst 40 Jahre nach seiner „Entdeckung“ als Fälschung entlarvt wurde. Wenig später wird Wakefield seine medizinische Approbation entzogen, die Fachzeitschrift „Lancet“ zieht sein Paper zurück.
Was aber löst nun den regressiven Autismus aus? „Wenn ich da brutal ehrlich sein soll: Wir haben darauf noch immer keine Antwort“, sagt dazu Thomas Insel, Leiter des US National Institute of Mental Health. Wahrscheinlich spielen sowohl genetische Faktoren wie auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Welche äußeren Faktoren dies aber sind – Infektionen der Mutter, Bestandteile ihrer Ernährung, Strahlung oder sonst etwas – sei unklar. Klar ist nach den intensiven Untersuchungen der letzten Jahre nur eines, wie Insel betont: Die MMR-Impfung ist einer der wenigen potenziellen Auslöse-Faktoren, die man heute ausschließen kann.
Nadja Podbregar
Stand: 19.07.2013