Das Besondere an kognitivem Lernen ist, dass es auf innerer Informationsverarbeitung basiert. Die Idee hinter dem so genannten kognitiven Ansatz in der Psychologie ist: Menschen und Tiere können – in unterschiedlichem Grade natürlich – ihre Umwelt mental abbilden und dann mit diesen inneren Vorstellungen arbeiten, statt sich unmittelbar mit der Umwelt auseinanderzusetzen.
Im Falle von Sultan kann der kognitive Ansatz einiges an Erklärungspotenzial liefern. Das Tier bildet das Problem offensichtlich mental ab und simuliert innerlich einzelne Bestandteile dieser Repräsentation so lange, bis es auf eine Lösung stößt, die es dann in der realen Welt anwendet. Die einmal gewonnene Lösung ist dann auch weiterhin verfügbar, weil die mentale Repräsentation beständig ist. Übertragen konnte Sultan die Lösung auf ähnliche Probleme, weil die Repräsentation möglicherweise abstrakt genug ist, um nicht nur die ursprüngliche Situation abzubilden.
Kognitives Lernen lässt sich in vielen Fällen offensichtlich in zwei Schritte unterteilen. In einem ersten wird die Lösung eines Problems in Angriff genommen. In einem zweiten Schritt wird die Problemlösung im Gedächtnis abgelegt. Schließlich kann sie in ähnlichen Situationen noch einmal von Nutzen sein. Das Gedächtnis spielt beim kognitiven Lernen eine wichtige Rolle.
Landkarten fürs Labyrinth
Ein früher Anhänger des kognitiven Ansatzes des Lernens war der amerikanische Psychologe Edward Tolman. Ihn trieb in den 1930ern und 1940ern das Problem um, wie Ratten einen Weg durch ein kompliziertes Labyrinth erlernen. Tolmans Idee: Ratten machen sich eine kognitive Karte des Labyrinths, dessen Anordnung sie mental abbilden. Studien verschiedener Forscherteams scheinen diese Annahme zu bestätigen. In einem typischen Versuchsaufbau stoßen Ratten am Ende einer jeden Verzweigung eines Labyrinths auf Futter. Ihre Aufgabe besteht darin, jede dieser Verzweigungen aufzusuchen, ohne eine zweimal zu betreten.
Wie die Experimente zeigen, lernen die kleinen Nager ziemlich schnell – selbst dann, wenn man den Geruch von Futter in noch nicht besuchten Verzweigungen mit Rasierwasser überdeckt. Die Ratten gehen übrigens auch nicht systematisch vor, sondern suchen die Verzweigungen in zufälliger Reihenfolge auf. Von daher lernen sie offensichtlich nicht einfach eine starre Abfolge von Reaktionen. Wahrscheinlicher ist es, dass sie tatsächlich eine Art mentaler Karte des Labyrinths entwickeln, in der auch markiert ist, in welcher Verzweigung sie schon gewesen sind.
Zellen im Hippocampus als Karte
Mittlerweile haben Forscher auch potenzielle neuronale Korrelate kognitiver Karten ausfindig gemacht. Unter anderem spielen so genannte Platzzellen im Hippocampus eine große Rolle, der für das Langzeitgedächtnis und räumliche Orientierung wichtig ist. Einzelne Platzzellen repräsentieren dabei unterschiedliche Orte in der Umwelt. Die Gesamtheit all dieser Zellen stellt eine Karte der gesamten Umgebung dar.
2009 nahmen der Psychologe Joseph Manns von der Emory University und der Neurowissenschaftler Howard Eichenbaum von der Boston University die Aktivitäten von mehreren Dutzend Pyramidenzellen im Hippocampus von Ratten auf. Sie fanden heraus, dass die Aktivitätsmuster vieler Pyramidenzellen den Ort und die Identität eines Objektes widerspiegelten.
Dr. Christian Wolf / dasGehirn.info – Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Neurowissenschaftliche Gesellschaft e. V., ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechn.
Stand: 18.01.2013