Istanbul und der Nordwesten der Türkei liegen in einem seismisch hochaktiven Gebiet der Erde: Betrachtet man die seismische Aktivität entlang der Nordanatolischen Verwerfung (NAFZ) über die letzten 70 Jahre, so zieht eine Serie starker Erdbeben vom Osten der Türkei immer weiter nach westwärts wandernd. Vorläufiger Höhepunkt war das Erdbeben im Jahr 1999, das die Stadt Izmit östlich von Istanbul in Trümmer legte.
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Seismische Lücke südlich von Istanbul
Für den Abschnitt des Marmara-Meeres südlich von Istanbul ergibt sich danach eine seismische Lücke – ein Bereich, den die Beben in jüngster Zeit vorerst ausgespart zu haben scheinen. Dies macht ein zukünftiges Erdbeben der Magnitude 7 bis 8 in diesem Gebiet wahrscheinlich. Aufgrund der Komplexität des Verwerfungssystems im Marmara-Meer können Seismologen zum jetzigen Zeitpunkt jedoch weder vorhersagen, welche Magnitude das Beben genau haben wird, noch wo das Epizentrum genau liegen und wie sich der Bruch ausbreiten könnte.
Welche Auswirkungen sind zu erwarten?
Untersuchungen von Erdbebenszenarien für das Marmara-Meer ergaben, dass die seismische Gefährdung und damit die zu erwartenden Beschleunigungswerte bei einem starken Beben 0,4 g bis 0,6 g im Istanbuler Stadtgebiet erreichen können. In einem solchen Falle müsste unter den derzeitigen Gegebenheiten mit einigen Zehntausend Todesopfern und mit dem Zehnfachen an Verletzten gerechnet werden. Auch der Schaden an Gebäuden und Infrastruktur sowie der Bedarf an neuen Unterkünften wären bei diesem Szenario enorm.
Die tatsächliche Stärke eines zukünftigen Erdbebens lässt sich im Vorhinein nicht abschätzen. Selbst der genaue Zeitpunkt und das Epizentrum eines solchen Ereignisses sind nicht prognostizierbar. Um so wichtiger ist es, die Auswirkungen eines solchen potenziellen Erdbebens möglichst genau abschätzen zu können. Sind die besonders gefährdeten Bereiche bekannt, gewinnt man bei der Frühwarnung wertvolle Sekunden, in denen bereits erste Maßnahmen eingeleitet werden können.
Die Wissenschaftler des GFZ Potsdam und ihre Kollegen von der Bogazici-Universität in Istanbul verfolgen daher mehrere Ansätze, die Frühwarnung zu optimieren.
Birger-Gottfried Lühr, Claus Milkereit, Stefano Parolai, Matteo Picozzi, Heiko Woith, Angelo Strollo, Mustafa Erdik, Atilla Ansal, Jochen Zschau / GFZ-Potsdam
Stand: 03.06.2011